Klahr    Alfred Klahr Gesellschaft

Verein zur Erforschung der Geschichte der Arbeiterbewegung

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Eine Erinnerung an den Moraltheologen Johannes Kleinhappl

Johannes Kleinhappl, im etwa vor zwei Jahrzehnten aufgelassenen steirischen Bergbaurevier Maria Lankowitz (Bezirk Voitsberg) als Sohn einer Bergarbeiterfamilie am 26. August 1893 geboren, war von früher Jugend an aufgrund des Schicksals seiner Familie unmittelbar mit Fragen von Eigentum, Produktionsmitteln und Lohnarbeit konfrontiert. Der Jesuitenorden hat den hochbegabten Jugendlichen entdeckt und ihm eine sehr gute Ausbildung vermittelt. Es war die Zeit, in der die Katholische Kirche spezielle Kader entwickelte, die im Dienste ihrer Soziallehre gegen die sozialistische Arbeiterbewegung tätig werden sollten. Nach der Matura am Privatgymnasium der Jesuiten Kalksburg (1918) wurde Kleinhappl zum Studium der scholastischen Philosophie im Jesuitenkollegium und der Theologie an der Jesuitenfakultät nach Innsbruck geschickt, wo er am 14.7.1926 mit der Dissertation „Ehe und Familie im Rechte Assyriens und Israels“ zum Dr. theol. promovierte und am 26. Juli 1926 zum Priester geweiht wurde. An der Innsbrucker Universität erwarb er am 15.7.1933 mit einer staatswissenschaftlichen Dissertation über die Soziologie des Franz Suarez (1548–1617) auch den Dr. rer. pol.. Das Studium an der Juristenfakultät half Kleinhappl bei seiner Schrift über die Eigentums- und Staatslehre des Scholastikers Ludwig Molina (1535–1600), mit welcher er sich im Wintersemester 1932/33 an der Theologischen Fakultät für Scholastische Philosophie mit Einschluss der Sozialethik habilitierte. Die Auseinandersetzung mit der Wirtschaftsethik der spanischen Spätscholastiker stand also am Beginn von Kleinhappls Forschungen. Sein Denken haben dann besonders die Arbeiten des westfälischen „roten Pastors“ Wilhelm Hohoff (1848–1923), der eine Verbindung zwischen der Arbeitswertlehre des Thomas von Aquin mit der von Karl Marx hergestellt hatte, aber auch von Karl von Vogelsang (1818–1890) beeinflusst. Vor allem aber hat sich Kleinhappl mit den Werken von Marx selbst beschäftigt, nicht einmalig, sondern immer wieder und noch im Alter studierte er intensiv seine Werke. Kleinhappl war sich sicher, dass die „soziale Frage“ auf der Grundlage des weiter bestehenden kapitalistischen Privateigentums an Produktionsmitteln nicht gelöst werden kann. Katholisches Zirkelgeplauder, wie es heute wieder von diversen katholischen Erneuerungsbewegungen forciert wird, war ihm zutiefst zuwider. Das brachte ihn in Widerspruch zur offiziellen, das Privateigentum gleichsam als „Naturrecht“ ansehenden päpstlichen Enzyklika „Quadragesimo anno“ von 1931, die, als Reaktion auf das Erstarken der revolutionären Arbeiterbewegung verfasst, starken Einfluss auf die austrofaschistische „Ständestaatsideologie“ nahm. Konflikte mit den einflussreichen prokapitalistischen Interpreten der Katholischen Soziallehre wie Owald von Nell-Breuning (1890–1991) oder Johannes Messner (1891–1984) waren abzusehen. Für Johannes Messner hat der Wiener Erzbischof Christoph Kardinal Schönborn 2002 einen Seligsprechungsprozess eingeleitet, auch das eine für die Gegenwart gedachte triumphale Restauration der katholischen Apologeten des Kapitalismus, der, wie Kleinhappl formulierte, „sinn- und sittenwidrigen Rechtfertigung des kapitalistischen Eigentumrechts durch ein fehl definiertes Naturrecht“.
Die Katholisch Theologische Fakultät der Universität Innsbruck wurde 1938 von den Nazis aufgehoben, der Versuch der Jesuiten, das Innsbrucker Canisianum als Stätte der Ausbildung in Form einer päpstlichen Fakultät noch zu retten, scheiterte. Kleinhappl wurde während der Nazizeit in Wien von seinem Orden als Lehrer der Moraltheologie, des Kirchenrechts und der Dogmatik für Scholastiker der Gesellschaft Jesu eingesetzt. Nach der Befreiung und der Wiedererrichtung der Innsbrucker Theologischen Fakultät nahm Kleinhappl seine Vorlesungen in Innsbruck wieder auf, zuerst als Privatdozent. Aufgrund seiner in der Einschätzung von Kapital und Arbeit immer deutlicher werdenden christlich marxistischen Positionen wurde er innerhalb des Jesuitenordens als nicht mehr auf dem Boden der Katholischen Soziallehre Kirche stehend denunziert. Der von der Ordensleitung der Jesuiten in Rom im Frühjahr 1947 als Visitator nach Österreich geschickte holländische Jesuitenpater Peeter von Gestel (1897–1972) eröffnete Kleinhappl zu Ostern (6. April 1947), dass gegen seine Anschauungen, wie er sie in den Vorlesungen vertrete, ernste Bedenken vorgebracht würden. Wer die Ankläger waren und was beanstandet wurde, wurde Kleinhappl nicht mitgeteilt. Bis zur Abklärung der Angelegenheit wurde Kleinhappl jedes öffentliche Auftreten verboten, auch sollte er nichts veröffentlichen. Das amtliche Verfahren seiner eingeleiteten und vom Ortsbischof Paul Rusch (1903–1980), der Kleinhappl sichtlich Sympathien entgegenbrachte, gerne unterstützten Ernennung zum ordentlichen Professor für Moraltheologie an der Innsbrucker Theologischen Fakultät konnte vom Orden ohne Eklat nicht unterbrochen werden. So erfolgte zum 1. Oktober 1947 seine Ernennung zum ordentlichen Professor für Moraltheologie an der Innsbrucker Theologischen Fakultät und Kleinhappl begann das Wintersemester 1947 mit einer vierstündigen Lehrveranstaltung Ethica generalis und mit einer einstündige Exercitatio scholastica. Am 25. Dezember 1947 eröffnete ihm der Provinzial der österreichischen Ordensprovinz, er müsse über Weisung der Ordensleitung der Jesuiten in Rom seine Vorlesungen sofort einstellen, Innsbruck verlassen und nach Wien übersiedeln. Kleinhappls dem Visitator nach Rom mitgegebene, für den Druck vorbereitete Arbeit über „Die Soziale Frage der Gegenwart“ sei von zwei Zensoren des Ordens überprüft und als bedenklich abgelehnt worden. 
Die Einwände der bestellten Zensoren gingen vor allem darauf hinaus, dass die Anschauungen von Kleinhappl mit dem päpstlichen Rundschreiben Quadragesimo anno nicht vereinbar seien. Eine Gelegenheit, in eine Diskussion mit den Behauptungen der Zensoren, die Kleinhappl, wie im Orden usus war, nicht bekannt gemacht wurden, einzutreten, wurde nicht gegeben. Einer der beiden Dunkelmänner dürfte jedenfalls Nell-Breuning gewesen sein. 
Für das Studienjahr 1948/49 kam Kleinhappl auf Weisung seiner Vorgesetzten im Orden um Beurlaubung ein, was der damalige klerikale Unterrichtsminister Ernst Kolb (1912–1978) mit einem Aktenvermerk so zur Kenntnis nahm: „Nach persönlicher Rücksprache des Herrn Sekt. Chefs mit Herrn Dekan der Theologischen Fakultät wird dem ordentlichen Professor Dr. Kleinhappl, der nicht mehr auf seine Lehrkanzel zurückkehren wird, für die Dauer des kommenden Studienjahres ein Urlaub unter Gewährung des Weiterbezuges seiner Bezüge gewährt“. Kleinhappl kam zur Überzeugung, dass er als Jesuit seine wissenschaftliche Überzeugung nicht mehr vertreten werden könne, und reichte im Herbst 1948 im Vatikan um die Erlaubnis, aus dem Orden auszutreten ein, was ihm am 19. November 1948 bewilligt wurde. Kleinhappl, dem Bischof Rusch die missio canonica nicht entzogen hatte, dachte daran, mit dem Studienjahr 1949/50 seine Vorlesungen wieder aufzunehmen, doch bedeutete ihm der mächtige Innsbrucker Jesuitenpater und Professor für Kirchenrecht an der Innsbrucker Theologenfakultät Gottfried Heinzel (1903–1968): „Sie können lesen, werden aber keine Hörer haben, außer ein paar Auswärtige“. „Kirche und Toleranz“ – so lautet der Titel der Inaugurationsrede, die Heinzel bei Amtsantritt als Rector magnificus der Innsbrucker Universität zelebrierte. Auch der zuständige Sektionschef im Unterrichtsministerium Otto (Baron) Skrbensky bedrängte Kleinhappl, seine Absicht nicht zu verwirklichen: „Sie lesen einfach nicht“. Kleinhappl blieb weiterhin beurlaubt.
Unterrichtsminister Heinrich Drimmel (1912–1991) versetzte Kleinhappl, wahrscheinlich auf Betreiben der Innsbrucker Theologischen Fakultät, mit Wirkung vom 31. Dezember 1954 ohne Veranlassung und ohne Begründung mit einer Strafpension in den zeitlichen Ruhestand Die Universität Innsbruck hat, wie sollte es auch anders sein, nichts gegen diese offenkundige Verletzung der Forschungs- und Lehrfreiheit in ihrem Bereich unternommen. Versuche von Kleinhappl, über den Verfassungs- und Verwaltungsgerichtshof im Amtswege doch noch seine Professur wahrnehmen zu können, scheiterten. 
Kleinhappl, der Priester blieb, musste in Wien die Aufgaben eines Advokaten beim Erzbischöflichen Metropolitangericht übernehmen. Für jeden, der das intrigante, jeden Tratsch, und sei dieser auch noch so banal und nieder, aufgreifende Umfeld des katholischen Lebens kennt, weiß, dass diese Arbeiten zeitaufwendig und strapaziös gewesen sein müssen. Im Thomaskolleg in der Habsburgergasse Nr. 7 lebte Kleinhappl in einer sehr bescheidenen, straßenseitigen Zelle, beinahe ohne Tageslicht. Der Autor durfte ihn dort seit Ende der 60er Jahre bis zu seinem Tode gelegentlich besuchen. Es war dies für den Autor immer ein besonders schönes und herausforderndes Erlebnis. Als der Autor 1974, also vor dreißig Jahren, eine Arbeit über den Februar 1934 (Innsbruck) verfasst hatte, schrieb ihm Kleinhappl am 9. Juli 1974: „/…/ Ich habe Ihre Arbeit in einem Zuge gelesen, sie hat mich nicht früher losgelassen. Man bekommt aus ihr ein wirkliches Bild der damaligen Vorgänge und vor allem von den Ursachen, die zu den damaligen Vorgängen geführt haben. /…/ Für mich ist es bedrückend zu sehen, wie Amtskirche und Bürgertum, trotz allem, immer einig sind, wenn es für das Eigentum und gegen die Arbeit geht. Darin hat sich leider auch heute noch nichts geändert. /…/.“ Aus Anlass eines Artikel über die Katholische Soziallehre in Weg und Ziel (1975, 129-131) schreibt ihm Kleinhappl am 9. März 1975: „/…/ Messner ist ein gescheiter Mann, der weiß auf welcher Seite man heute stehen muss. Er ist nicht so rückständig wie ein Hohoff, der, obwohl katholischer Priester, es gewagt hat für Karl Marx einzutreten. Es wurde ihm, wie er es verdient hat, auch heimgezahlt. Übrigens hat die Wiener Arbeiterzeitung P. Oswald von Nell-Breuning, der am 8.3.1975 sein 85stes Lebensjahr vollendet hat, hoch gefeiert. Es ist also, wie Sie sehen, sehr gefährlich solche Männer wie von Nell-Breuning und Messner nicht genügend zu achten und zu ehren. Ich bin wirklich besorgt um Sie. /…/“
Kleinhappl hat in Wien weiterhin versucht, in seinen wissenschaftlichen Arbeiten weiterhin kämpferisch und kompromisslos für die Anliegen der Arbeiterklasse einzutreten. Natürlich ohne jede öffentliche Anerkennung, auch wenn 1962 der Europa Verlag in der Reihe „Europäische Perspektiven“ sein Büchlein „Arbeit – Pflicht und Recht. Fragen der Wirtschaftsethik“ veröffentlichte. Aufgrund seiner Ausbildung und seines Wissens wäre Kleinhappl eine von der veröffentlichten Meinung akklamierte Karriere offen gestanden, so wie seinen Ordensbrüdern Nell-Breuning oder Herwig Büchele. Letzterer hat als Professor für Christliche Gesellschaftslehre an der Innsbrucker Universität die NATO-Bombardierung am Balkan ausdrücklich begrüßt und ist deshalb auch als „Bomben-Büchele“ bekannt geworden. Kleinhappl aber verzichtete auf Karriere, er blieb Humanist und der Arbeiterklasse treu. Die Kirche und mit die ÖVP schwieg ihn deshalb tot, die Wiener Sozialdemokraten leisteten in ihrem erbärmlichen Opportunismus sogar vor Nell-Breuning und Johannes Messner ihren Kotau. Vor 25 Jahren, am 2. September 1979, verstarb Johannes Kleinhappl. Er liegt in der Priestergrabstätte des Wiener Zentralfriedhofes begraben. Seine ohne gelehrte Verzierungen geschriebenen Arbeiten sind es immer noch wert, das über sie nachgedacht wird. Diese sind heute im übrigen leicht zugänglich, denn sie wurden von Ernst van Loen in fünf Bänden gesammelt und in den 90er Jahren im Wiener Herder-Verlag und im Innsbrucker Tyrolia-Verlag mit einer umfangreichen Biographie (das ist der abschließende Band 5) herausgegeben: Johannes Kleinhappl: Werkausgabe Band 1-5 (Band 1: Herder Wien 1991, Band 2-5: Tyrolia Innsbruck – Wien 1992–1996) herausgegeben.

Gerhard Oberkofler

Mitteilungen der Alfred Klahr Gesellschaft, Nr. 3/2004

 

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