Klahr    Alfred Klahr Gesellschaft

Verein zur Erforschung der Geschichte der Arbeiterbewegung

Drechslergasse 42, A–1140 Wien

Tel.: (+43–1) 982 10 86, E-Mail: klahr.gesellschaft@aon.at


 

Home
AKG
Veranstaltungen
Mitteilungen
Publikationen
Geschichte
Links

 

Mirko Messner: Zur Geschichte der AVNOJ-Beschlüsse

Eng verwoben mit den Tendenzen zur "Osterweiterung" der EU bildet die Polemik gegen die AVNOJ-Beschlüsse neben jener gegen die sogenannten Beneš-Dekrete eine Konstante rechter und deutsch-völkisch motivierter Politik. Wenn Slowenien sich von den "AVNOJ-Beschlüssen" nicht lossagt, meint z.B. der Kärntner Landeshauptmann Jörg Haider, müsste Slowenien auf einen EU-Beitritt verzichten. In der Substanz Ähnliches war vom österreichischen Verteidigungsminister und anderen Repräsentanten der österreichischen Regierung zu hören, wobei die österreichische Außenpolitik stärker auf diplomatischen Druck denn auf plakative Junktimierung der setzt: "Bilaterale Verhandlungen" mit Slowenien über "AVNOJ" seien angesagt.

Der AVNOJ-Erlass und die Vertreibung der "Volksdeutschen"

Am 29. und 30. November 1943 fand mitten im okkupierten Jugoslawien, im bosnischen Jajce, die zweite Tagung des "Antifaschistischen Rats der Volksbefreiung Jugoslawiens" (AVNOJ) statt. 142 Delegierte nahezu aller in dieser Region lebenden Nationalitäten (mit Ausnahme der makedonischen, denen es nicht gelang, sich nach Bosnien durchzuschlagen) konstituierten sich als oberstes staatliches Machtorgan, schufen Legislative (Präsidialrat) und Exekutive (Nationalkomitees). Sie entbanden die Exilregierung jeglicher realen oder eingebildeten Verantwortung, untersagten dem König Peter II. die Rückkehr und legten fest, dass Jugoslawien in Zukunft föderalistisch aufzubauen sei, bei Wahrung der vollen Gleichberechtigung aller Nationen. Der Präsidialrat verabschiedete im Jahr darauf eine Reihe von Gesetzen und Verordnungen, darunter jene vom 21. November 1944. Wenn von den AVNOJ-Beschlüssen in aktuellen Zusammenhängen die Rede ist, dann ist damit vor allem einer davon gemeint, nämlich der "Erlass über den Übergang feindlichen Vermögens in Staatseigentum, über die Staatsverwaltung des Vermögens abwesender Personen und Beschlagnahme des von den Besatzungsmächten gewaltsam entfremdeten Vermögens". Dieser Erlass war Bestandteil der jugoslawischen Gesetzgebung, veröffentlicht am 6. Februar 1945 im Amtsblatt der Demokratischen föderativen Republik Jugoslawien, und hat auch im heutigen Staat Slowenien seine Kontinuität. Er enthält 12 Artikel; der erste lautet:
"Mit dem Tag, an dem dieser Erlass in Kraft tritt, geht folgendes Vermögen ins Staatseigentum über: / 1. das gesamte in Jugoslawien befindliche Vermögen des Deutschen Reiches und dessen Bürger; / 2. das gesamte Vermögen von Personen deutscher Volkszugehörigkeit, mit Ausnahme jener Deutschen, die in der Nationalen Befreiungsarmee und den jugoslawischen Partisaneneinheiten gekämpft haben, oder die Staatsbürger neutraler Staaten sind und sich während der Besatzungszeit nicht feindlich verhalten haben; / 3. das gesamte Vermögen der Kriegsverbrecher und deren Helfershelfer, ohne Rücksicht auf ihre Staatsbürgerschaft, sowie das Vermögen jeder Person, die durch das Urteil eines zivilen oder eines Kriegsgerichts zum Verlust ihres Vermögens zugunsten des Staates verurteilt worden sind. / In solchen Fällen gelten die Bestimmungen dieses Erlasses für das Vermögen jugoslawischer Staatsbürger ohne Rücksicht darauf, ob sie sich im In- oder im Ausland befinden."
Um diesen Erlass geht es, wenn Rückgabeforderungen, -ansprüche und -wünsche des Vermögens von "Deutschen" in Slowenien zur Debatte stehen. /1/
Die zitierte Verordnung wurde zunächst in der Vojvodina, dann in den anderen befreiten Territorien und schließlich mit dem Konfiszierungsgesetz vom 9. Juni 1945 sowie mit dem Gesetz über die Agrarreform vom 23. August 1945 umgesetzt. Nachdem sich nach jugoslawischen Quellen lediglich einige Hundert sogenannte "Volksdeutsche" den Partisanen angeschlossen hatten, betrafen diese Maßnahmen nahezu alle Angehörigen der deutschsprachigen Bevölkerungsgruppe in Jugoslawien; d. h. unter anderem, dass z. B. in der Vojvodina knapp 40% der gesamten landwirtschaftlich genutzten Fläche enteignet wurden. In Slowenien wurden an die 6.000 landwirtschaftliche Güter im Gesamtausmaß von rund 115.000 Hektar konfisziert; aufgrund der deutschen Eigentümerschaft in Staatseigentum übergeführt wurde weiters ein großer Teil des Gewerbes und des Industriekapitals.
Es liegt zwar bis dato keine verlässliche statistische Gesamtschau des enteigneten ehemaligen deutschen Vermögens in Slowenien vor, doch kann z. B. aus Angaben zur Sozialstruktur geschlossen werden, dass es eine für die gesamtgesellschaftliche Entwicklung relevante Größe war. Während laut Volkszählung im Jahre 1931 79 Prozent der jugoslawischen Bevölkerung von der Landwirtschaft lebten und nur 10 Prozent von Industrie und Gewerbe, ernährten sich (nach Angaben des deutschen Nachrichtendienstes) zu Beginn der vierziger Jahre nur rund 14 Prozent der Deutschen in der Untersteiermark von der Landwirtschaft, rund 50 Prozent dagegen vom Handel und Gewerbe; knappe 20 Prozent waren in freien Berufen tätig. Mehr als die Hälfte der 275 Industriebetriebe in der Untersteiermark befanden sich im Eigentum von Deutschen (vgl. Necak, op. cit.). Von der ökonomisch starken bzw. dominanten Position der untersteirischen Deutschen hob sich deutlich die Situation der "Gottscheer" Deutschen ab, die zu Großteil in der Landwirtschaft tätig waren oder vom Handwerk und vom Handel lebten.
Wie viele Jugoslawien-Deutsche aus Slowenien geflohen, vertrieben, durch Bombenangriffe, Kampfhandlungen, Massaker oder Racheaktionen umgekommen sind, ist nach den zur Verfügung stehenden Quellen nicht genau festzustellen. Einige deutsche und österreichische Quellen sprechen von bis zu 6.000 Verstorbenen. Die slowenische Geschichtsschreibung geht von 1.000 bis 1.500 Personen aus, die gezielter "Justifikation" oder grausamer Behandlung zum Opfer fielen, und stützt sich dabei auf Angaben des deutschen Kulturbundes. Was die Zahl der Vertriebenen oder Ausgesiedelten angeht, sprechen slowenische Quellen von 9.474 Personen. Kein Zweifel besteht darüber, dass die große Mehrheit der slowenischen Deutschen (nach slowenischen Quellen 15.000 bis 16.000) schon vor Kriegsende aus dem Land geflohen war.

Wie es dazu kam

Nach der Okkupation Jugoslawiens durch Hitlerdeutschland wurde Slowenien unter die drei Aggressor-Staaten aufgeteilt. Den nördlichen Teil, eingeschlossen unter anderem die slowenische Steiermark (Untersteiermark), das slowenische Kärnten und Oberkrain, nahmen sich die Deutschen. Ungarn erhielt den Großteil des Prekmurje-Gebietes im Osten, Italien den Rest inklusive Ljubljana. Während Italien und Ungarn die besetzten Gebiete ohne Umschweife bereits im Jahre 1941 auch formalrechtlich an ihre Staaten anschlossen, wollten die Nazis den von ihnen besetzten Teil zunächst entsprechend herrichten: er wurde in zwei als temporär verstandene Verwaltungseinheiten geteilt, d. h. in die Untersteiermark einerseits sowie Kärnten und Krain anderseits. Das Kommando wurde sogenannten Chefs der Zivilverwaltung übergeben (S. Uiberreither mit Sitz in Maribor, F. Kutschera bzw. in seiner Nachfolge F. Rainer mit Sitz in Bled). Temporär deswegen, weil dieses Gebiet zunächst von "unerwünschter Bevölkerung" gesäubert und erst danach an das Reich angeschlossen werden sollte. Die Generallinie gab Adolf Hitler persönlich vor ("Machen Sie mir dieses Land wieder deutsch!"); die daraus abgeleiteten Vorgaben Heinrich Himmlers und seiner Beamten lassen sich kurz zusammenfassen: massive Vertreibung von SlowenInnen, "Umvolkung" des verbleibenden Rests, und massive Ansiedlung deutscher Kolonisten. Es gab unterschiedliche Meinungen unter den Nazis zu unterschiedlichen Zeiten darüber, wie die Germani­sierung ablaufen sollte – sie pendelten zwischen der Überlegung, die "Frage der slowenischen Intelligenz" mittels "vollständige(r) Vernichtung durch Erschießung oder sonstige(r) Beseitigung" zu lösen, und der "Gewinnung der Jugend" durch "allmähliche Eindeutschung des Gebietes" /2/, auch lassen sich fallweise graduelle Unterschiede in der Brutalität der Germanisierungspolitik in der einen und anderen Region feststellen, doch kam das Ergebnis dem ursprünglichen Auftrag nahe: an die 70.000 SlowenInnen fielen der NS-Besatzungspolitik nach Angaben der jugoslawischen Kommission zur Feststellung von Verbrechen der Wehrmacht zum Opfer; rund 155.000 wurden in Konzentrations­lager verschleppt, mussten Zwangsarbeit leisten /3/ oder wurden für den Militärdienst rekrutiert. 80.000 SlowenInnen wurden nach Serbien, Kroatien oder ins Deutsche Reich deportiert. Mit glühendem Eifer wurde die Bevölkerung mit Ausnahme der Deutschen in "rassische" Kategorien eingeteilt, wurden hunderte Kindergärtnerinnen und LehrerInnen aus Österreich für deutsche Kindergärten und Schulen rekrutiert, wurden slowenische Organi­sationen aufgelöst, sogar Feuerwehrvereine, rund zwei Millionen slowenischer Bücher durch Feuer oder in Papiermühlen vernichtet, slowenische Aufschriften entfernt, der Gebrauch der slowenischen Sprache geächtet, slowenisches kirchliches, privates und staatliches Eigentum geplündert oder angeeignet. Bis März 1943 wurden allein im Norden der Untersteiermark 1.862 Grundstücke im Umfang von 23.012 Hektar, über 100 Industrieunternehmen, mehr als 100 Kaufhäuser und Gewerbebetriebe sowie das gesamte Eigentum von Kredit-, Einkaufs- und Konsumgenossenschaften beschlagnahmt – und mehrheitlich an Deutsche aus der Untersteiermark übergeben.
Nicht nur für die Slowenen und Sloweninnen, auch für die deutsche Bevölkerung in Slowenien änderte sich die Situation nach der Okkupation durch Nazideutschland; ihre gesellschaftliche und politische Elite, sich unlängst noch als sendungsbewusste "Deutsche" in den slawischen Teilen der Monarchie begreifend, fand sich in Slowenien als Minderheit wieder; diese hatte zwar nach wie vor ihre ökonomische Bedeutung, war jedoch als ehemaliges "Herrenvolk" politisch und kulturell starkem Anpassungsdruck ausgesetzt. Der Einmarsch der Nazitruppen wurde von ihren Vertretern als Befreiung vom "serbischen Joch" gefeiert. Diesem Augenblick war eine starke Nazifizierung der deutschsprachigen Bevölkerung in Slowenien vorausgegangen, die mit zunehmender Aggressivität Nazideutschlands immer offener zur Schau getragen wurde und sich mit irredentischer Propaganda verband. Wie stark die Nazifizierung der deutschen Minderheit in Slowenien war, darüber gibt es in der Geschichtsschreibung keine Einigkeit. Sprecher der betroffenen Deutschen neigen dazu, den Grad zu minimieren, slowenische HistorikerInnen dagegen schließen aus verschiedenen Angaben, dass die große Mehrheit der "Volksdeutschen" in Slowenien zu Beginn der Okkupation bereits nationalsozialistisch orientiert war.
Die Lebensumstände änderten sich jedenfalls für die deutsche Minderheit nach der Okkupation Sloweniens in beträchtlichem Maße, aber in unterschiedlicher Weise: die Gottscheer Deutschen, in diesem Land seit vielen hundert Jahren vorwiegend als Bauern lebend, nach eigenen Angaben 12.498 an der Zahl, waren Italien zugeschlagen worden. Hitler, Himmler und die italienische Regierung kamen überein, sie umzusiedeln ("Heim ins Reich"). Mehr als 95 Prozent von ihnen erklärten sich bereit dazu. Nach eingehender rassischer Prüfung wurden sie zwischen November 1941 und Jänner 1942 mit 135 Zügen in das Gebiet der Save und Sotla gebracht, aus dem zuvor mehrere tausend Slowenen und Sloweninnen vertrieben worden waren.
Ähnlich wie die Gottscheer Umzügler als germanische "Wehrbauern" mit "Pflug und Schwert" in die nationalsozialistische Germanisierungspolitik einbezogen wurden und zum Feind der slowenischen Befreiungsbewegung wurden, trugen auch große Teile der untersteirischen Deutschen zur Umsetzung der nationalsozialistischen Ziele bei, d. h., sie waren an der Verwaltung konfiszierter slowenischer Industrie- und Gewerbebetriebe beteiligt, arbeiteten als Mitglieder des Schwäbisch-deutschen Kulturbundes im "Steirischen Heimatbund" an der Germanisierung der sogenannten "Windischen" bzw. "heimattreuen Steirer", bildeten ein NS-Nachrichtennetz erster Güte, wurden zu den Massenaussiedlungen der slowenischen Bevölkerung herangezogen usw. Nach jugoslawischen Angaben waren mehr die untersteirischen Deutschen zu mehr als 80 Prozent an den Funktionen des Besatzungsapparates beteiligt.
Auch wenn keineswegs davon gesprochen werden kann, dass "die", d. h. "alle" Deutschen in Slowenien die Naziokkupanten unterstützt hatten, war der Grad ihrer Einbeziehung in die Besatzungs- und Germanisierungspolitik der Nazis so groß, dass er das historisch geerbte Bild vom "Herrenvolk" in dramatischer Weise aktualisierte und in allen – auch im bürgerlichen und antikommunistischen – slowenischen politischen Zusammenhängen sehr früh die Vorstellung einer kollektiven Verantwortung weckte sowie konkrete Vergeltungspläne heranreifen ließ, die alle auf eine mehr oder weniger radikale Vertreibung der deutschen Bevölkerung aus Slowenien hinausliefen.

Die AVNOJ-Erlässe im Nachkriegseuropa

Die Einstellung Jugoslawiens zur deutschsprachigen Bevölkerung im eigenen Land war nach dem Sieg über das Naziregime kein isoliertes Phänomen. Rund 12 Millionen Deutsche wurden insgesamt außer aus Jugoslawien aus den baltischen Staaten, aus Bulgarien, der Sowjetunion, der Tschechoslowakei, aus Ungarn und Polen vertrieben. Ihre Vertreibung aus den drei letztgenannten Staaten wurde durch die Bestimmungen des Artikels XIII des Potsdamer Abkommens vom 2. August 1945 festgelegt. Diese waren allerdings genauso wenig ein ausschließliches Nachkriegs-Ergebnis wie die AVNOJ-Erlässe, auch unterschieden sie sich in keiner Weise von ihren Absichten oder von jenen der Beneš-Dekrete. Im Gegenteil: spätestens seit April 1943 waren sich die USA und Großbritannien einig, dass alle deutschen Bevölkerungsteile in Osteuropa nach Deutschland umzusiedeln wären. Mehrere diesbezügliche Studien, darunter eine des Historikers A. J. Toynbee, präzisierten die Ziele: "Homogenisierung" der Bevölkerung, dadurch größere innere Stabilität und höhere multilaterale Sicherheit. Deutschland sollte nie wieder die deutschen Minderheiten als Expansionspotential bzw. als "fünfte Kolonne" nutzen können.
Darum anerkannten auch die Alliierten die Beschlüsse der 2. Tagung des AVNOJ vom November 1943, einige zwar mit Vorbehalten bezüglich der zukünftigen staatlichen Ordnung, mit kleiner zeitlicher Verzögerung auch die Sowjetunion, die ihrerseits der Meinung war, dass die Machtübernahme verfrüht sei. Aus den Organen und der Armee des AVNOJ entstand das sozialistische Jugoslawien, das von den Alliierten in die Reihe der Sieger im Zweiten Weltkrieg aufgenommen wurde, das Gründungsmitglied der Vereinten Nationen wurde und an der Entstehung der europäischen Nachkriegsordnung beteiligt war (Verträge mit Italien 1947 und mit Österreich 1955).
Am 15. Mai 1955 wurde der "Staatsvertrag betreffend die Wiederherstellung eines unabhängigen und demokratischen Österreich" beschlossen, dessen Artikel 27 der "Föderativen Volksrepublik Jugoslawien das Recht" einräumt, "österreichische Vermögenschaften" (die zum damaligen Zeitpunkt nicht von den deutschen unterschieden wurden) "... zu beschlagnahmen, zurückzubehalten oder zu liquidieren." Die österreichische Regierung verpflichtet sich darin, "österreichische Staatsangehörige, deren Vermögen auf Grund dieses Paragraphen herangezogen wird, zu entschädigen". Das war schon einige Jahre zuvor von den Außenministern der Alliierten anstelle der von Jugoslawien geforderten Reparationszahlungen beschlossen worden.
1991 beschloss die Republik Slowenien des Gesetz über die Denationalisierung, mit dem die Rückgabe des zwischen 1945 und 1963 verstaatlichten Eigentums an jugoslawische Staatsbürger geregelt wird. Personen, die ein Recht auf Entschädigung durch andere Staaten hatten, sind davon ausgeschlossen. Am 25. April 1997 wurde dieses Gesetz vom slowenischen Verfassungsgerichtshof bestätigt, darüber hinaus auch die jugoslawische Nachkriegsregelung bezüglich der Staatsbürgerschaft von Personen deutscher Nationalität, die sich zur Zeit der Okkupation dem deutschen Reich gegenüber loyal verhalten hatten. Werden dennoch Ansprüche gestellt, so liegt die Beweislast laut slowenischen Verfassungsgerichtshof in diesem wie in jedem anderen Fall bei den Antragstellern, die ihre Ansprüche geltend machen wollen.

Die Schnittstelle: deutsche "Volksgruppe" in Slowenien

Eine sensible Schnittstelle für die Polemik um die AVNOJ-Erlässe ist die neuformierte "deutsche Minderheit" in Slowenien. Kaum war nämlich Slowenien als selbständiger Staat konstituiert, wurde 1991 in der zweitgrößten slowenischen Stadt Maribor der Verein "Freiheitsbrücke" registriert. Sein Obmann, Rechtsanwalt Dušan Ludvik Kolnik, forderte vom neuen Staat, was im alten – Jugoslawien – undenkbar gewesen war: die verfassungsmäßige Anerkennung einer "deutschen Minderheit" nach dem Beispiel der italienischen, ungarischen und Roma-Minderheit. Die Begründung dafür: Jugoslawien hätte an der deutschsprachigen Bevölkerung in Slowenien einen Völkermord begangen, und auch das neue slowenische Gesetz über die Denationalisierung (Privatisierung) stelle einen Bruch der Menschenrechte dar, denn es beruhe auf dem "genoziden" AVNOJ-Beschluss aus dem Jahre 1944.
Kaum aus der Taufe gehoben, fand die "Freiheitsbrücke" ihre Patin: bereits am 12. Juni 1992 unterstützte die (nicht schwarz-blaue) österreichische Regierung Kolniks Forderungen in einem Memorandum an die slowenische Regierung; sie berechtigt sich darin selbst, die Interessen der "deutschsprachigen Volksgruppe" (laut Volkszählung 1991 1.586 Personen) gegenüber der slowenischen Regierung zu vertreten. Ihr Engagement führte zum Entwurf eines unterzeichnungsreifen, aber von slowenischer Seite erst unlängst unterzeichneten "Kulturabkommens".
Mit dem Antritt der schwarz-blauen Koalition und nach der Entdeckung der AVNOJ-Beschlüsse durch Landeshauptmann Jörg Haider war der Ton selbst für die Ohren jener slowenischen Politiker & Politikerinnen schwer erträglich geworden, die durchaus bereit sind, dem österreichischen Druck nachzugeben – wenn nicht aus anderen, so aus Gründen der Dankbarkeit, dass sie seinerzeit von Alois Mock unterstützt wurden, als sich dieser um die internationale Isolierung Jugoslawiens bemühte. FPÖ-Klubobmann Peter Westenthaler hat seine Partei bereits zur "einzig legitimen Verbündeten der Vertriebenen" ernannt. Ohne Aufhebung der Beneš-Dekrete und der AVNOJ-Beschlüsse sei der EU-Beitritt Tschechiens und Slowenien "für die Freiheitlichen nicht machbar". Dieses Thema sei eine "Nagelprobe" für die EU, und Österreich werde alles daran setzen, die "Vertreibungs- und Enteignungbestimmungen auf dem Verhandlungstisch wegzubekommen". Egal, ob er sich Illusionen macht oder nicht: die EU-Osterweiterung in ihrer derzeitigen voraussehbaren Form als transnationale Expansion vorwiegend deutschen Kapitals schafft derart viel soziales Konfliktpotential, dass er und seinesgleichen sich die Höhe des ideologischen Extramehrwerts ausrechnen können, den sie durch begleitende völkische Propaganda für sich herausschlagen dürfen.
Einerseits wird heute auch in Ljubljana erkannt, dass die Forderung nach Eliminierung der AVNOJ-Beschlüsse aus der europäischen Nachkriegs- und der slowenischen Rechtsgeschichte nichts anderes ist als die Forderung nach Eliminierung des alliierten Sieges über Nazideutschland und nach Revision der europäischen Nachkriegsordnung (Dimitrij Rupel, heute Außenminister, in "Primorske novice" vom 1. September 2000). Andererseits hat am 14. Februar 2002 das slowenische Parlament nach jahrelangen Polemiken und Verhandlungen das österreich-slowenische Kulturabkommen verabschiedet. Slowenien anerkennt darin erstmals offiziell die Existenz einer "deutschsprachigen ethnischen Gruppe" im Land. Viele Mandatare blieben der Abstimmung fern – angesichts der Weigerung der Kärntner Landesregierung, das Ortstafel-Erkenntnis des österreichischen Verfassungsgerichtshof Österreich umzusetzen.

Anmerkungen
1 Über einen zweiten (gleich datierten) Erlass sprechen einige – vorwiegend deutsche – Quellen. Laut deutscher Übersetzung sollen durch ihn "alle in Südslawien lebenden Personen deutscher Abstammung (...) augenblicklich die südslawische Staatsbürgerschaft sowie alle bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte" sowie ihren gesamten Besitz verlieren. Ein authentischer Text liegt nicht vor, auch wurde er in keinem jugoslawischen Amtsblatt veröffentlicht, es gibt also keinen direkten Beweis für seine Existenz. (vgl. Necak, Dušan: Nemci na Slovenskem 1941-1955. Ljubljana 1998).
2 Vermerk über eine Besprechung in Bled am 6. 10. 1941, zit. in Kladivo, 8/1988
3 "Nicht zufällig waren fast 80 Prozent aller aus Jugoslawien stammenden Zwangsarbeiter damals auf Kärnten und die Steiermark konzentriert. Ihrer Ausbeutung verdankt Kärnten u. a. eine Verdoppelung der Energiegewinnung aus Wasserkraft"; vgl. Jacob, Günther: Das Geheimnis des Bärentals. In: Konkret-Texte 26, Hamburg 2000

Mitteilungen der Alfred Klahr Gesellschaft, Nr. 1/2002

 

Zurück Home Nach oben Weiter