Klahr    Alfred Klahr Gesellschaft

Verein zur Erforschung der Geschichte der Arbeiterbewegung

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Irma Schwager: Kommunistische Frauenpolitik in der Nachkriegszeit

Im Frühsommer 1945 bin ich mit einer Gruppe von Kommunistinnen und Kommunisten und mit meiner kleinen Tochter nach einer abenteuerlichen Reise durch das zerbombte Deutschland nach Wien zurückgekommen. Trotz der schwierigen Situation im Nachkriegsösterreich waren wir voll Optimismus und überzeugt, dass die Befreiung nach den schrecklichen Jahren von Faschismus und Krieg, der Wiederaufbau der Demokratie neue Perspektiven für eine gerechte Gesellschaft entwickeln wird, die im neuen Österreich auch eine neue, gleichberechtigte Stellung der Frau sein wird. Trotz der großen Zerstörungen und des Mangels an allem war eine Aufbruchstimmung zu spüren.
Die kommunistische Frauenpolitik war darauf ausgerichtet, möglichst viele Frauen zur aktiven Vertretung ihrer eigenen Interessen und zur Mitwirkung beim Aufbau demokratischer Verhältnisse zu gewinnen. In die Provisorische Regierung wurde Hella Postranecky als Unterstaatssekretärin im Staatsamt für Volksernährung nominiert. Sie war die erste Frau in einer österreichischen Regierung. In der Ersten Republik war sie eine prominente Sozialdemokratin. In der Illegalität schloss sie sich der KPÖ an, weil, wie sie sagte, die Kommunisten den konsequentesten Kampf gegen den Faschismus führten. Hella Postranecky wurde Mitglied der Parteiführung und stellvertretende Vorsitzende der KPÖ. Sie war eine wichtige Funktionärin bei der Entwicklung der kommunistischen Frauenpolitik. „Wir brauchen Frauenaktivs“, sagte sie, „die Frauenarbeit darf nicht neben der Partei und die Partei nicht neben der Frauenarbeit sein.“
Bei den Bezirks- und Ortsgruppen wurden Frauenaktivs geschaffen, die besonders die Frauen und ihre Probleme ansprechen, sich um sie kümmern und sie zum Mitmachen gewinnen sollten. Es gab viele Frauenversammlungen. Im Aufruf in einer Aktivistinnenkonferenz heißt es: „Das neue Österreich braucht Frauen in Volksvertretungen, in der Stadt, in den Ländern, Gemeinden, öffentlichen Körperschaften und in der Verwaltung, Frauen in leitenden Stellen im Staat, in der Wirtschaft und Kultur.“ Am 5. August 1945 wurde in einem Aktionsprogramm der KPÖ auch die volle Gleichberechtigung der Frau im politischen und wirtschaftlichen Leben unter Schutz von Mutter und Kind und spezifischen Frauenanliegen festgehalten.
Die Wochenzeitung Stimme der Frau wurde herausgegeben. Am 27. Oktober 1945 erschien die erste Nummer in 50.000 Exemplaren. Die Spanienkämpferin Renée Dürmayer war die erste Chefredakteurin. Die Artikel behandelten Probleme des Friedens und der Frauenrechte bis zur praktischen Hilfe und Beratung (Kochen, Nähen, Mode, Erziehung, Lesestoff usw.). Der größte Teil der Auflage wurde von uns Kommunistinnen – den so genannten Werberinnen wöchentlich zu den Frauen verschiedensten Alters und unterschiedlichster Herkunft gebracht. So konnten viele persönliche Kontakte hergestellt werden. Später wurde die Organisation Hausfrauenhilfe gegründet, wo Schneiderinnen in der Zeit des großen Mangels die Frauen kostenlos beraten haben, wie man aus Alt Neu macht. Manche Decke und manches Uniformstück verwandelte sich in Kostüm oder Mantel.
In der ersten Nachkriegszeit ging es ums Überleben. Die Lebensmittelversorgung war katastrophal. 1945 starben 16 Prozent der Kinder, die in diesem Jahr geboren wurden. Im Dezember 1946 hat ein Aktionskomitee der Frauen, in dem Vertreterinnen aller drei Parteien waren, unter dem Titel „Rettet das Kind“ eine Kundgebung in den Sofiensälen abgehalten. Es forderte, dass die Frauen in den Fragen der Lebensmittelzuteilungen mitreden und mitbestimmen sollen. Im Kampf gegen den Hunger und für die Versorgung der zum Leben wichtigsten Dinge haben die Frauen Großartiges geleistet: Wegräumen der Kriegsschäden, Essen beschaffen, Milch für die Versorgung der Kinder, Heizmaterial, Glas für die Fenster, Bekleidung usw. mussten besorgt werden. Die abziehenden Faschisten haben noch Lebensmittel vernichtet und viel Schaden angerichtet. Nicht selten war zusätzlich die Unfähigkeit von Ämtern und Sabotage die Ursache mangelhafter Aufbringung von Lebensmittel. Große Mengen verschwanden im blühenden Schleichhandel.
Gegen die Missstände organisierten Kommunistinnen Demonstrationen und Delegationen zu den verantwortlichen Stellen in verschiedenen Städten. Sie forderten bessere Kontrolle, Festsetzung der Preise und entschiedenes Vorgehen gegen den Schleichhandel. So haben zum Beispiel in Leoben im März 1947 3000 Frauen bei einer Demonstration teilgenommen, weil der sogenannte Lebensmittelaufruf nicht erfüllt wurde. Es gibt sicher keine andere Partei, in der sich so viele Frauen bemüht haben zu helfen und viel Zeit und Energie dafür aufgewendet haben.
Gerne erinnere ich mich an die gute Zusammenarbeit mit Resi Scheiring in Tirol, Agnes Primocic in Salzburg, Anni Haider in Oberösterreich, Rosl Kranz und Maria Greilberger-Cäsar in der Steiermark, Hermine Klapper und Steffi Hoffmann in Wien, das sind nur einige Namen von Kommunistinnen, die führend am Überlebenskampf, an der Überzeugung der Frauen für ein gemeinsames Handeln teilgenommen haben.
Bei einer Großkundgebung zum internationalen Frauentag 1946 hob der Vorsitzende der KPÖ die bedeutende Rolle der Frauen hervor und betonte, dass der Kampf um die wirkliche Gleichberechtigung der Frau nicht allein Sache der Frauen sein kann, sondern aller, die ein wahrhaft demokratisches und fortschrittliches Österreich wollen.
Unmittelbart nach dem Zweiten Weltkrieg mit dem Abwurf der Atombombe am 6. und 9. August 1945 auf Hiroshima und Nagasaki hat eine bedrohliche Entwicklung des Wettrüstens begonnen. „Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg“ war ein Grundbedürfnis der Frauen. Kommunistinnen haben Tausende Unterschriften unter den „Stockholmer Appell“ zum Verbot der Atomwaffen gesammelt und gegen SS und Soldatentreffen protestiert und demonstriert, die den verbrecherischen Krieg als Vaterlandsverteidigung verherrlicht haben.
1946 wurde auf Initiative der KPÖ eine überparteiliche Frauenorganisation geschaffen. Die Widerstandskämpferin Anna Grün – auf deren Initiative die Kinderübernahmestelle der Polizei gegründet wurde – und die ehemalige sozialdemokratische Landtagsabgeordnete Maria Köstler gründeten mit Frauen wie Grete Schütte-Lihotzky, die aus dem KZ und aus den Gefängnissen gekommen waren und Frauen aus dem Kulturbereich wie die Schriftstellerin Lina Loos, die Schauspielerinnen Maria Eis und Hilde Wagener und andere das erste Komitee des Bundes demokratischer Frauen (BDF) in Wien.
Das Klima des Kalten Krieges und die Diffamierungen haben die überparteiliche Zusammenarbeit sehr erschwert. In der KPÖ war man von der Notwendigkeit des Zusammenwirkens der Frauen für ihre Forderungen überzeugt. Deshalb wurde beschlossen, die Frauenaktivs in der KPÖ aufzulösen und den „Bund demokratischer Frauen Österreichs“ als überparteiliche selbständige Frauenorganisation politisch und finanziell zu unterstützen. Auf Initiative der Kommunistinnen wurden in vielen Städten Gruppen des BDFÖ gegründet und damit 1948 eine österreichweite Organisation geschaffen. Präsidentin wurde die Architektin Grete Schütte-Lihotzky und Generalsekretärin Hella Postranecky. Leider haben die bürgerlichen Frauen nach dem Beschluss, sich der Internationalen Demokratischen Frauenföderation (IDFF) anzuschließen, den Bund verlassen, weil sie diese Organisation als zu kommunistisch beeinflusst sahen.
Die Internationale Demokratische Frauenföderation wurde am 10. Dezember 1945 in Paris gegründet. Wir Österreicherinnen haben durch den Anschluss an diese Organisation und die Teilnahme an internationalen Frauenkongressen an vielen Friedens- und Solidaritätsaktionen teilgenommen und Impulse für unsere eigene Arbeit bekommen. Wir haben viele tapfere Frauen aus allen Kontinenten kennengelernt, von ihren Problemen gehört und aus ihren Erfahrungen gelernt. Auch in Salzburg und Wien haben Kongresse dieser internationalen Frauenorganisation stattgefunden und Frauen aus aller Welt nach Österreich gebracht.
Der Bund demokratischer Frauen hat sich durch sein Bemühen um Zusammenarbeit und seine vielfältige Tätigkeit mit und für die Frauen Anerkennung erworben. Er engagierte sich für Frieden und Abrüstung, gegen Neofaschismus und für die Rechte der Frauen. Der Bund intervenierte bei den Justizministern und Abgeordneten für die Reform des veralteten Ehe- und Familienrechts aus dem Jahr 1811 und für die Abschaffung des Paragrafen 144, für die Durchsetzung des gleichen Lohnes für gleichwertige Arbeit, für gleiche Bildungs- und Aufstiegschancen und für ausreichende und gute Kindereinrichtungen und bessere Lebensverhältnisse für die Familien. Unsere Frauen haben mit großem Engagement und mit Beharrlichkeit, trotz aller Schwierigkeiten, im Bemühen um die Fraueninteressen nicht locker gelassen.
Immer wieder haben auch Frauen, die anderen Parteien angehörten oder parteilos waren, an den Aktivitäten mitgewirkt. Zum Beispiel waren im antifaschistischen Uraniakomitee, das auf Initiative von Grete Schütte-Lihotzky entstanden ist, Frauen verschiedenster Weltanschauung beteiligt. Über drei Jahrzehnte wurden in der Urania monatlich antirassistische und Antikriegsfilme gezeigt, zu denen auch die Schulen eingeladen wurden, um der Jugend das wahre Gesicht von Faschismus, Rassismus und Krieg und die katastrophalen Auswirkungen des Antisemitismus zu zeigen, was damals im Unterricht noch keine Rolle spielte.
Die kommunistischen Mandatare im Parlament, in den Gemeinden, Betrieben und Gewerkschaften unterstützten die Forderungen der Frauen. So hat zum Beispiel Ernst Fischer im Parlament schon 1945 die Abschaffung des § 144 gefordert, der Generationen von Frauen ins Unglück stürzte und nicht wenigen das Leben gekostet hat. So weit ich mich erinnern kann, haben auch die Gemeinderäte Lauscher und Karger in Wien und Ernst Gold in Hallein und andere die Gemeinden aufgefordert, sich dafür einzusetzen.
Johann Koplenig unterbreitete im Parlament die Vorschläge des Bundes zur Reform des veralteten Ehe- und Familienrechts, das faktisch die Entmündigung der Frau enthalten hat, weil der Mann als „Haupt der Familie“ über die Frau bestimmen konnte, zum Beispiel ihr verbieten, einen Beruf auszuüben. Die Mutter hatte nicht einmal das Recht, einen Pass für ihr Kind zu unterschreiben. Franz Honner verlangte Maßnahmen, die den Frauen Zutritt zu allen Berufen sichert und wandte sich scharf gegen die Bestrebungen, Frauen als erste auf Abbaulisten zu setzen, was nach der Heimkehr der Soldaten aus der Kriegsgefangenschaft oft der Fall war. In der Gewerkschaft haben Leopoldine Fialka im Vorstand der Textilarbeitergewerkschaft so wie viele andere Kommunistinnen in den Betrieben und Gewerkschaften die Anliegen von berufstätigen Frauen vertreten.
In der KPÖ gab es viel Unterstützung aber auch Kritik und Diskussionen um die Frauenpolitik. So wurde kritisiert, dass in der Partei den Problemen der Frauen zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird. Im Juni 1948 sprach der Vorsitzende der KPÖ bei einem Plenum des Zentralkomitees von der bedeutenden Rolle der Frauen, die fast 40 Prozent des Mitgliederstandes waren, stellte aber fest, dass ihre Aktivität weder in den Leitungen noch in der Zusammensetzung der Konferenzen zum Ausdruck kommt. Die Frauen kritisierten, dass verzopfte Traditionen und Vorurteile bis in die Reihen der Partei hineinwirken. Aus eigener Erfahrung, ganz persönlich, weiß ich aber auch, dass oft den Frauen Mut gemacht wurde und sie überzeugt werden mussten, verantwortliche Funktionen zu übernehmen. Später gab es die Kritik, dass die Partei die Frauenarbeit ganz dem Bund überlasse und zu wenig als KPÖ selbst in Erscheinung trete.
Zusammenfassend kann man sagen: Die Frauenpolitik der KPÖ hat ihr Ziel der Schaffung einer starken überparteilichen Massenorganisation der Frauen nicht erreicht, aber Kommunistinnen und Kommunisten haben sicher dazu beigetragen, vieles in Bewegung zu bringen, Frauenbewusstsein zu stärken und damit zur Durchsetzung wesentlicher Gesetze wie zum Beispiel die Fristenlösung oder die Reform des Ehe- und Familienrechts und vieler sozialpolitischen Regelungen beigetragen. Nicht zuletzt dazu, dass die Diskussionen und politischen Auseinandersetzungen um den immer noch ungleichen Lohn, den bestehenden Mangel an Kinderbetreuungseinrichtungen im reichen Österreich, die Doppelbelastung der Frauen, die gleichen Bildungschancen für alle Kinder auch heute im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit stehen und nicht mehr ignoriert werden können. Kommunistische Frauenpolitik war und blieb ein Bestandteil des Kampfes um Demokratie und eine bessere sozialistische Gesellschaft, wie es auch den Traditionen der revolutionären Arbeiterbewegung entspricht.

Referat am Symposium der Alfred Klahr Gesellschaft „Befreiung und Wiederaufbau – Die KPÖ als Regierungspartei“ am 16. April 2005 in Wien.

 

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