Klahr    Alfred Klahr Gesellschaft

Verein zur Erforschung der Geschichte der Arbeiterbewegung

Drechslergasse 42, A–1140 Wien

Tel.: (+43–1) 982 10 86, E-Mail: klahr.gesellschaft@aon.at


 

Home
AKG
Veranstaltungen
Mitteilungen
Publikationen
Geschichte
Links

 

Hans Hautmann: Das Geschichtsbild über die Besatzungszeit

Die vielfachen Aktivitäten im heurigen Gedenkjahr von „staatsoffizieller“ Seite haben gezeigt, dass das Geschichtsbild über die zehn Jahre von 1945 bis 1955, als Österreich unter alliierter Besatzung stand, nach wie vor den von früher her tradierten, im wesentlichen negativ gefärbten und von Selbstmitleid dominierten Klischees verhaftet geblieben ist. Der Grund liegt auf der Hand: Unter den vier Besatzungsmächten befand sich ein Land, noch dazu ein kommunistisches, die durch den Sieg im Zweiten Weltkrieg zur Weltmacht aufgestiegene Sowjetunion, die – mit vollem Recht – Schadenersatz für die unermesslichen Zerstörungen und Verheerungen beanspruchte, die nicht zuletzt auch durch die Teilnahme hunderttausender Österreicher am Krieg an der Seite Hitlerdeutschlands entstanden waren. Der Zugriff auf die deutschen Vermögenswerte in Ostösterreich zur wenigstens teilweisen Befriedigung der sowjetischen Reparationsinteressen figuriert folglich als das, was das Schreckensszenario der Kapitalistenklasse schlechthin war und ist, als Enteignung, und wird als ökonomische Ausbeutung Österreichs hingestellt, um es politisch zu destabilisieren und à la longue hier das kommunistische System zu etablieren. Das, gepaart mit dem Stereotyp der massenhaften Ausschreitungen der Sowjettruppen gegenüber der (doch ausschließlich „zu befreienden) österreichischen Bevölkerung, ist die wahre Ursache dafür, dass das geschichtsoffiziöse Bild von der Besatzungszeit nach wie vor schief hängt.
Meine These ist, dass die Besatzungszeit eine der wichtigsten Perioden in der österreichischen Geschichte überhaupt war, und dass sie positiver eingeschätzt werden muss, als man das normalerweise tut. Diese These möchte ich an Hand von drei Bereichen des gesellschaftlichen Lebens erläutern, in denen die Transformationen zum Besseren hin, die durch die alliierte Besatzung bewirkt wurden, deutlich zum Ausdruck kommen, nämlich auf justizieller, politischer und ökonomischer Ebene.
Um die Veränderungen in diesen Bereichen angemessen bewerten zu können, ist es notwendig, den Blick auszuweiten auf das gesamte Spektrum des historischen Weges Österreichs im 20. Jahrhundert. Unser Land war zweimal auf der Seite des deutschen Imperialismus an Kriegen mit katastrophalen Ergebnissen beteiligt, 1914 bis 1918 und 1939 bis 1945. Vergleicht man die Folgen der beiden Weltkriege für Österreich, das eine Mal als unbesetztes, das andere Mal als besetztes Land, werden die Unterschiede sehr augenscheinlich.
In besonders deutlicher Weise äußerte sich das auf justizieller Ebene, mit der ich beginnen möchte. Von Österreichern als dem herrschenden Volk in der Habsburgermonarchie wurden im Ersten Weltkrieg zahlreiche Kriegs- und Humanitätsverbrechen begangen, die nach 1918 keine Sühne fanden. Den Auslieferungsbegehren der Siegermächte, festgehalten in den Artikeln 173 bis 176 des Friedensvertrages von Saint-Germain, wurde nicht entsprochen. Der Versuch der inneren Selbstreinigung in Form eines von der republikanischen Nationalversammlung eingesetzten Gremiums, der „Kommission zur Erhebung militärischer Pflichtverletzungen im Kriege“, erwies sich im Endeffekt als vollkommener Fehlschlag. Die Verantwortlichen und Ausführenden der Kriegs- und Humanitätsverbrechen blieben ungeschoren, was auf die politischen Zustände und das allgemeine Klima der Monarchienostalgie und Verehrung der „unbefleckten Kriegshelden“ in der 1. Republik verheerende Auswirkungen hatte.
Ganz anders 1945. Nicht nur die vier Besatzungsmächte haben nach Naziverbrechern gefahndet, sie festgenommen, ihnen den Prozess gemacht und abgeurteilt, auch der österreichische Staat schuf mit dem NS-Verbotsgesetz und dem Kriegsverbrechergesetz von 1945, auf denen die Volksgerichte basierten, ein Instrument der Ahndung, dem wesentliche Bedeutung bei der Reinigung des eigenen Hauses zukam. Die Anwesenheit der Alliierten bewirkte, dass die Volksgerichte nicht kurzfristig, sondern über zehn Jahre hinweg, bis 1955, agierten. Verglichen mit der eher kläglichen Bilanz der Zeit danach, als dieser Verbrechenskomplex von Geschworenengerichten mit oft skandalösen Urteilen verhandelt wurde, nimmt sich die Tätigkeit der Volksgerichte mit 23.000 Urteilen, 13.000 Schuldsprüchen, 298 Kerkerstrafen zwischen zehn Jahren und lebenslänglich sowie 43 Todesurteilen, von denen 30 vollstreckt wurden, imponierend aus.1 Nicht dass es hier wie in der Frage der Entnazifizierung insgesamt auch grobe Mängel, Opportunismus, Ahnden mit zweierlei Maß und Freunderlwirtschaft beim Ausstellen von „Persilscheinen“ gegeben hätte. Stellt man aber die Relationen in Rechnung, den Vergleich mit der Zeit nach dem Ende des Ersten Weltkriegs und der Periode nach der Abschaffung der Volksgerichte, so war diese Initiative strafrechtlicher „Vergangenheitsbewältigung“ in den Jahren der alliierten Besatzung für österreichische Verhältnisse höchst bemerkenswert, die unbedingt auf das Konto der positiven Veränderungen in unserem Land verbucht werden muss.
Zweite Ebene, die politische. Man kann es nur als Glück bezeichnen, dass von den alliierten Truppen die sowjetischen als erste österreichischen Boden betraten und nach der Befreiung Wiens den Anstoß zur unverzüglichen Bildung einer Regierung gaben. Denn das Besatzungskonzept der Amerikaner und Briten, vorerst nur Beamten-Verwaltungen, aber keine Regierung mit politischen Kompetenzen einzusetzen mit der Intention, Demokratie durch strikte Bevormundung der österreichischen Bevölkerung beizubringen, musste schon nach kurzer Zeit angesichts der demokratischen Vorbildwirkung der Renner-Regierung mit ihrem ungeteilten Vertretungsanspruch auf ganz Österreich aufgegeben werden.2 Zweifellos ist dadurch unserem Land eine sehr schwierige Regierungsbildung oder gar eine Teilung in eine Regierung für Ost- und eine für Westösterreich erspart geblieben. Die sowjetische Besatzungspolitik zielte darauf ab, rasch eine funktionierende österreichische Regional- und Lokalverwaltung in den Händen von AntifaschistInnen aufzubauen. Sie nahm nur am Anfang Einfluss auf die Einsetzung der Verwaltungsdienststellen und hat in der Folgezeit die Entscheidungen der von ihr gestützten Organe, der Renner-Regierung und der Landesregierungen in Wien, Niederösterreich, dem Burgenland und der Lokalverwaltung Mühlviertel, weitgehend akzeptiert, d.h., sie nahm dann kaum mehr Einfluss auf die Wiedererrichtung der politischen und verwaltungsmäßigen Infrastruktur und auf den Wiederaufbau der Wirtschaft.3
Überhaupt muss man sich davor hüten zu glauben, dass die Politik der Alliierten die einer kleinlichen Überwachung war. Solche Erscheinungen gab es nur in den ersten Monaten, vornehmlich in den westlichen Zonen, und sie verschwanden nach dem Abschluss des 2. Kontrollratsabkommens vom 28. Juni 1946 fast gänzlich. Die Eingriffe der alliierten Kontrolle in den österreichischen Gesetzgebungs- und Verwaltungsmechanismus waren fortan gering und betrafen nur Bereiche, die vitale Interessen einer der vier Mächte tangierten, so z.B. das deutsche Eigentum, das die Sowjetunion als Kriegsentschädigung aufgrund der Potsdamer Beschlüsse beanspruchte.
In diesem 2. Kontrollabkommen sind übrigens die Zwecke, die der Notwendigkeit der alliierten Besatzung zugrunde gelegt wurden, sehr anschaulich umrissen worden. Es heißt da im Artikel 3, dass die vornehmlichsten Aufgaben der alliierten Kommission für Österreich folgende seien:
„a) Die Einhaltung der Bedingungen der Erklärung über die Niederlage Deutschlands, die am 5. Juni 1945 in Berlin unterzeichnet wurde, in Österreich zu sichern.
b) Die Trennung Österreichs von Deutschland vollständig zu machen, die unabhängige Existenz und Integrität des österreichischen Staates aufrechtzuerhalten und, bis zur endgültigen Festlegung seiner Grenzen, die Unantastbarkeit derselben nach dem Stande vom 31. Dezember 1937 zu sichern.
c) Die österreichische Regierung zu unterstützen, ein gesundes und demokratisches nationales Leben neu zu schaffen, gestützt auf eine wirksame Verwaltung, stabile wirtschaftliche und finanzielle Zustände und auf die Achtung vor Recht und Ordnung.
d) Die frei gewählte österreichische Regierung zu unterstützen, so bald wie möglich die volle Kontrolle der Staatsgeschäfte in Österreich auszuüben.
e) Die Aufstellung eines fortschrittlichen Erziehungsprogramms auf lange Sicht, das die Aufgabe hat, alle Spuren der Nazi-Ideologie auszumerzen und der österreichischen Jugend demokratische Grundsätze einzuprägen, zu sichern.“
4
Schätzt man als Historiker objektiv ein, ob diese grundsätzlichen Ziele im Verlauf und als Ergebnis der Besatzungszeit erreicht wurden, so wird man das mit einem uneingeschränkten „Ja“ beantworten müssen.
Auch das Bild von der Allgegenwart der „Vier im Jeep“, der drückenden zahlenmäßigen Stärke der Besatzungstruppen und des Schärfegrades der Kontrollen an den Übergängen zwischen den Besatzungszonen, wie es in den Ausstellungen im Belvedere und auf der Schallaburg sowie in Populärmedien auch noch im heurigen Gedenkjahr vermittelt wurde, bedarf der Revision. Spätestens ab 1953, als auch die Sowjetunion die Personenkontrollen an den Demarkationslinien aufhob, war von der Besatzung kaum mehr etwas zu bemerken. In Wien, wo schon immer das Passieren der Zonenbezirksgrenzen ungehindert möglich war, waren gegen Ende der alliierten Ära uniformierte Soldaten der vier Mächte im Straßenalltag kaum noch zu sehen, und wenn, dann nur bei parademäßigen Anlässen. Im Oktober 1954 gab es in Österreich 36.000 Mann der sowjetischen Besatzungsmacht, 15.000 Amerikaner, 2800 Briten und 542 Franzosen. Während die Präsenz der Alliierten in bestimmten Regionen und Städten sehr wohl augenscheinlich war, so der Amerikaner in Salzburg und der Russen im sowjetischen Hauptquartier in Baden bei Wien und rund um den Truppenübungsplatz Döllersheim im Waldviertel, waren andere Gegenden faktisch besatzungsfrei wie Vorarlberg und Tirol, und auch in Kärnten und in der Steiermark gab es nur ganz geringfügige britische Kräfte mehr.5 In der Endphase waren die Besatzer fast schon so etwas wie „austrifiziert“, was sich in wohlwollenden Gesten äußerte wie der Umwandlung der militärischen in zivile Hochkommissariate bei gleichzeitiger Akkreditierung von ihnen als Botschafter, in der Aufhebung aller Beschränkungen im Personen- und Güterverkehr und im Verzicht auf die Bezahlung der Besatzungskosten.
Das entscheidende und bedeutungsvollste politische Ergebnis der Besatzungszeit bestand aber darin, dass sie die verhängnisvollen großdeutschen Träume eines einst leider nur zu beträchtlichen Teils der Österreicher endlich zu Grabe trug, es zu einer unverkrampften und optimistischen Identifikation mit einem Kleinstaat kam und die Normen demokratischen Lebens ihre endgültige Verankerung und Festigung erfuhren. Der Unterschied zur Situation des unbesetzten Österreich nach 1918 liegt hier offen auf der Hand und ist wahrlich himmelweit.
Dritte Ebene, die ökonomische. Um sie richtig zu würdigen, muss man zur vergleichenden Perspektive der Lage nach dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg noch einen weiteren Blickwinkel dazugesellen, den von der heutigen Warte aus, des Zustands der Offensive des Großkapitals auf die Errungenschaften des Sozial- und Wohlfahrtsstaats. Es ist kein Zufall, dass man im heurigen Gedenkjahr solche Tätigkeiten wie die der „Trümmerfrauen“ und die wirtschaftlichen Leistungen der so genannten „Wiederaufbaugeneration“ überschwänglich gewürdigt hat, die große Rolle aber, die den Verstaatlichungen im ökonomischen Kontext zukam, tunlichst zu verschweigen suchte. Die Verstaatlichungen nach 1945 passen als Objekt der Erinnerungskultur ganz einfach nicht in das gegenwärtige Schema, wonach alles Heil für die Wirtschaft in Privatisierung besteht. Und es ist weiters kein Zufall, dass man beim Gedenken an den ökonomischen Bereich fast ausschließlich die schweren Lasten der Besatzungskosten, die Beschlagnahme des deutschen Eigentums durch die Sowjetunion und die so großen Schaden anrichtende Rolle der USIA-Betriebe in den Vordergrund gerückt hat, das alles kontrastiert zur hell und strahlend gezeichneten selbstlosen Hilfe der USA in Form des Marshall-Plans.
Was die Machteliten heute negativ sehen, muss man aber, sofern man ihnen nicht angehört, durchwegs positiv einschätzen. Die wirtschaftlichen Machtverhältnisse in Österreich, die Tatsache, dass sich der wichtigste Teil der österreichischen Großindustrie und des Bankwesens in deutschem Besitz befunden und zahlreiche Betriebe aller Sparten aktiven Nationalsozialisten gehört hatten, erfuhren 1945 einen grundlegenden Wandel. Vor der heranrückenden Roten Armee setzte eine massive Fluchtbewegung deutscher und faschistischer Eigentümer und Direktoren ein. In vielen Betrieben wurden unmittelbar nach der Befreiung Betriebsräte gewählt, die die Leitung der Unternehmen in die Hand nahmen und die Produktion wieder in Gang brachten. Mitte Mai 1945 setzte die Renner-Regierung für fast 6000 nunmehr „herrenlose“ Betriebe öffentliche Verwalter ein, die mit den Betriebsräten zu kooperieren hatten. Damit waren die kapitalistischen Eigentumsverhältnisse in Österreich tief erschüttert, und vor allem das Großkapital hatte seine wirtschaftlichen Machtpositionen eingebüßt.
Die Verstaatlichung der Schwerindustrie, des Grundstoffsektors, der Energieerzeugung und der Großbanken, in Österreich – verglichen mit anderen westeuropäischen Ländern, wo sie auch wie beispielsweise in Großbritannien stattfand – in besonders starkem Ausmaß betrieben, war ein gewaltiger Fortschritt, ungeachtet des Umstands, dass man sie in Österreich auch als Mittel betrachtete, die sowjetischen Ansprüche auf das ehemals deutsche Eigentum zu konterkarieren, und ungeachtet des Umstands, dass die Verstaatlichungen kein wirkliches Durchbrechen kapitalistischer Strukturen in Österreich nach sich zogen. Denn die verstaatlichten Betriebe waren es, die über Jahrzehnte hinweg, bis in die 1980er Jahre, die Voraussetzungen für eine höhere soziale Sicherheit und bessere Kampfbedingungen für die hier Beschäftigten schufen, als sie in der Privatindustrie bestanden.
Letzteres gilt grundsätzlich auch für die USIA-Betriebe, die Sowjetische Mineralölverwaltung und die DDSG, die mit dem bekannten Befehl Nr. 17 des sowjetischen Hochkommissars Kurassow vom 27. Juni 1946 als ehemaliges deutsches Eigentum beschlagnahmt wurden. Betroffen waren rund 280 Industriebetriebe mit mehr als 50.000 Arbeitern und Arbeiterinnen, die Donaudampfschifffahrtsgesellschaft, der Großteil der österreichischen Erdölindustrie und 157.000 Hektar Grund und Boden, ferner Immobilien, Konzessionen, Patente, Handelsmarken, Konten und Wertgegenstände.6 Für die österreichische Arbeiterbewegung spielten diese im sowjetischen Besitz stehenden Betriebe eine insgesamt positive Rolle. Sie waren Vorreiter in vielen sozialökonomischen Fragen und waren wesentlich früher geneigt, allgemeine Forderungen nach sozialer Absicherung, Lohnanpassungen und Beihilfen zu erfüllen als die privaten und selbst die verstaatlichten Betriebe.
Ich bin weit davon entfernt, die USIA-Betriebe zu verherrlichen. Es gab schwerwiegende Probleme, denn sie wurden von der privaten und verstaatlichten Industrie sowie von den westlichen Ländern boykottiert und blieben ab Anfang der 1950er Jahre – die Erdölindustrie ausgenommen – technologisch immer mehr hinter der übrigen österreichischen Industrie zurück, die durch die Marshallplan-Gelder gefördert wurde, womit sie an Ansehen in der Arbeiterschaft verloren. Generell sind jedoch auch sie ein Faktor gewesen, der zur erheblichen Reduktion der Machtpositionen des österreichischen Kapitals beitrug, und das sogar eine erkleckliche Zeit über die Besatzungsära hinaus. Im Moskauer Memorandum vom 15. April 1955 als Ergebnis der Verhandlungen, die den Durchbruch zum Staatsvertrag und zur Neutralitätserklärung brachten, wurde nämlich im Punkt 6 festgehalten:
„Die Bundesregierung wird nach Übergabe der deutschen Vermögenswerte in der sowjetischen Besatzungszone in Österreich Maßnahmen herbeiführen, die eine Überführung dieser Vermögenswerte in das Eigentum ausländischer Staatsangehöriger einschließlich juristischer Personen privaten und öffentlichen Rechts ausschließt. Ferner wird sie dafür Sorge tragen, dass gegen die bei den früheren USIA-Betrieben, bei den Betrieben der ehemaligen sowjetischen Mineralölverwaltung, der Aktiengesellschaft OROP und bei der DDSG Beschäftigten keine diskriminierenden Maßnahmen ergriffen werden.“7
Das bedeutete, dass die ehemaligen USIA-Betriebe nach 1955 zum allergrößten Teil in den verstaatlichten Sektor überführt wurden, Betriebe wie die Hütte Krems, die zur VÖEST Linz kam, oder die Korneuburger Schiffswerft, und damit dem Zugriff des Privatkapitals noch längere Zeit entzogen blieben.
Versucht man am Ende ein Resümee zu ziehen, so muss meines Erachtens festgestellt werden, dass die Besatzungszeit es war, die die entscheidende Voraussetzung dafür schuf, dass die gewaltigen politischen Errungenschaften, die durch den antifaschistischen Befreiungskampf der Völker im Zweiten Weltkrieg erwirkt wurden, in der Unabhängigkeitserklärung vom 27. April 1945, im Staatsvertrag vom 15. Mai 1955 und im Neutralitätsgesetz vom 26. Oktober 1955 ihre österreichische Ausprägung fanden. Die Besatzungszeit – und im Besonderen die Beteiligung eines mächtigen sozialistischen Landes an ihr – war es, in der die Weichen für den Weg gestellt wurden, der aus den Verstrickungen Österreichs in Kriege und Katastrophen hinausführte, wie sie unsere Geschichte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts geprägt hatten, weg von den schlechten Traditionen dieser Vergangenheit hin zur eigentlichen Bestimmung Österreichs unter den Völkern der Welt: als friedliebender und neutraler Staat mit Einrichtungen öffentlicher Wohlfahrt und sozialen Sicherungsmechanismen für die Masse der arbeitenden Menschen.
In einer Zeit, in der das alles wieder gefährdet ist, ist das Festhalten an diesen Erneuerungen Österreichs nach 1945 eine Aufgabe, der höchste gesellschaftspolitische Priorität zukommt.

Anmerkungen:
1/ Claudia Kuretsidis-Haider, Verbrechen an ungarisch-jüdischen Zwangsarbeitern vor Gericht. Die Engerau-Prozesse vor dem Hintergrund der justiziellen „Vergangenheitsbewältigung“ in Österreich (1945–1955), phil. Diss., Wien 2003, S. 61f.
2/ Oliver Rathkolb, Wie homogen war Österreich 1945? Innenpolitische Optionen, in: Wolfgang Kos/Georg Rigele (Hrsg.), Inventur 45/55. Österreich im ersten Jahrzehnt der Zweiten Republik, Wien 1996, S. 163
3/ Klaus-Dieter Mulley, Befreiung und Besatzung. Aspekte sowjetischer Besatzung in Niederösterreich 1945–1948, in: Alfred Ableitinger/Siegfried Beer/Eduard G. Staudinger (Hrsg.), Österreich unter alliierter Besatzung 1945–1955, Wien–Köln–Graz 1988, S. 398f.
4/ Abkommen zwischen den Regierungen des Vereinigten Königreiches, der Vereinigten Staaten von Amerika, der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken und der Französischen Republik über den Kontrollapparat in Österreich, vom 28. Juni 1946 (2. Kontrollabkommen), zitiert in: Manfried Rauchensteiner, Der Sonderfall. Die Besatzungszeit in Österreich 1945 bis 1955, Graz–Wien–Köln 1979, S. 345
5/ Gerald Stourzh, Um Einheit und Freiheit. Staatsvertrag, Neutralität und das Ende der Ost-West-Besetzung Österreichs 1945–1955, 4. Aufl., Wien–Köln–Graz 1998, S. 581f.
6/ Manfried Rauchensteiner, Stalinplatz 4. Österreich unter alliierter Besatzung, Wien 2005, S. 100
7/ Zitiert nach G. Stourzh, a.a.O., S. 667

Referat am Symposium der Alfred Klahr Gesellschaft „Kontinuität und Wandel der österreichischen Geschichtsmythen – Eine kritische Bilanz des Gedenkjahres 2005“ am 29. Oktober 2005.

 

Zurück Home Nach oben Weiter