Klahr    Alfred Klahr Gesellschaft

Verein zur Erforschung der Geschichte der Arbeiterbewegung

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Karl Steinhardt: Rede am Gründungskongress der Kommunistischen Internationale am 3. März 1919

Das Wort zum Bericht erhält Gen. J. Gruber (Deutsch-Österreich). Werte Genossen! Wir Delegierte aus Deutsch-Österreich finden keine Worte, um die Gefühle auszudrücken, die uns heute in Eurer Mitte beseelen. Wir sind unter ungeheuren Schwierigkeiten nach siebzehntägiger Reise vor einer Stunde hier angekommen und überbringen Euch die Grüße und die heißesten Glückwünsche unserer revolutionären Genossen aus Deutsch-Österreich. Euch alle sollen wir begrüßen, vor allem aber, Genossen, müssen wir unseren russischen Genossen danken, denn sie haben durch die große Revolution vor mehr als einem Jahr den revolutionären Kräften in Österreich mächtigen Antrieb gegeben. Nur ihnen ist es zu verdanken, dass wir heute eine jugendstarke kommunistische Partei in Deutsch-Österreich haben. Und die Geschichte wird den russischen Genossen ein dauerndes Denkmal setzen, da sie der Weltrevolution zum Durchbruch verholfen haben.
Und nun möchte ich Euch noch über die Ereignisse berichten, die zur Gründung der Kommunistischen Partei Deutsch-Österreichs führten und über ihre Entwicklung.
Der Friede von Brest-Litowsk war in Vorbereitung. In Österreich herrschte Hungersnot, verschärft durch die Diktatur der zügellosen Soldateska. Das Proletariat wünschte dringend und stürmisch, dass Österreich endlich einmal aus dem Weltkrieg ausscheide. Doch es wurde durch Versprechungen seitens der verbrecherischen Regierung hingehalten. Es wurde ihm gesagt, in kürzester Zeit solle der Friede geschlossen werden. Das geschah aber nicht. Das Proletariat sah sich wieder zum besten gehalten. Eine ungeheure Verschlechterung der Lebenslage trat ein. Sie führte im Januar 1918 zu einer sehr starken Bewegung, die von den Industriezentren im Süden von Wien ihren Ausgang nahm und deren Wellen in einigen Stunden den Weg nach Wien fanden. Die Räder standen still. Die Vertreter der sozialverräterischen Partei im Parlament waren sprachlos. Das Proletariat wollte weder mit den Führern der Gewerkschaften noch der sozialdemokratischen Partei etwas gemein haben.
Nachdem die Bewegung einige Tage gedauert hatte, nachdem sie übergriff auf alle Industriegebiete, rafften sich sowohl die Gewerkschaftsführer wie auch die Parteibonzen auf und suchten die Bewegung in andere Bahnen zu lenken, Das führte denn auch zum Versanden der ganzen Bewegung. Die Herren Seitz, Renner, Leuthner von der Sozialdemokratie, Tomschik, Domes und andere von den Gewerkschaften stellten sich an die Spitze und versprachen, die Interessen der Arbeiterschaft zu vertreten. Sie behaupteten aber, Österreich hätte nicht das Recht, aus der Reihe der kriegführenden Länder auszuscheiden, denn das bedeute den Zusammenbruch der wirtschaftlichen Existenz seines Proletariats. Die Arbeiterschaft ließ sich wiederum von ihren politischen und gewerkschaftlichen Vertretern betören. Diese stellten sich zwischen die Regierung und die Arbeiterschaft. Sie formulierten einige radikal scheinende Forderungen, bekamen von der Regierung die verabredete Erklärung, und die Arbeiterschaft ging nach kaum einer Woche des Stillstandes der Maschinen wieder an ihre Arbeit.
Was geschehen musste, geschah. Die Regierung hatte gesehen, dass die Vertreter der Arbeiterschaft ein gefügiges Werkzeug in den Händen der Regierung sind, und dachte nicht daran, die bewilligten Forderungen zu verwirklichen. Auch das Versprechen, dass die Führer der Bewegung nicht gemaßregelt werden sollten, ließ sie unerfüllt. Diese wurden entweder an die Front geschickt oder hinter Kerkermauern begraben. Ihre Existenz wurde vernichtet. Die Genossen, die in der Bewegung unter dem Namen der linksradikalen Sozialdemokraten arbeiteten, wurden von den Parteiführern als Staatsverbrecher gebrandmarkt, eine Reihe der führenden Genossen wurden aus der Partei ausgeschlossen.
Der Zusammenbruch an den Fronten in Italien und Bulgarien, die Hungersnot im Lande, die Zerstörung des Organisationsapparats für Verteilung der Lebensmittel, das Zurückfluten der Soldaten von der Front, das alles beschleunigte endlich den Zerfall der Monarchie Österreich-Ungarn. Es bildeten sich mehrere Staaten entsprechend ihren ethnographischen Grundlagen – die tschechoslowakische und die ungarische Republik; die südslawischen, italienischen und rumänischen Völker schlossen sich ihren Mutterstaaten an, und es blieb von dem so „glorreichen Kaiserstaate“ nichts weiter übrig, als der Rest Deutsch-Österreich mit ungefähr 9 Millionen Einwohnern. Erst in letzter Stunde entschloss sich die Sozialdemokratie in Deutsch-Österreich, die Führung der „Revolution“ zu übernehmen, Deutsch-Österreich zur Republik zu erklären. Die steifleinenen sozialdemokratischen Helden sprechen heute immer noch von einer Revolution in Österreich. In Wirklichkeit aber war es keine. In jenem Moment, wo tatsächlich das Proletariat die Macht ohne Kampf ergreifen konnte da stellten sich die Vertreter der Sozialdemokratie schützend vor die Bourgeoisie und sagten: „Die Zeit ist noch nicht gekommen, um die Macht zu übernehmen, wir müssen eine Koalition mit den Bürgerlichen eingehen“. Es wurde ein Präsidium zusammengesetzt, bestehend aus dem Verpfafftesten der Pfaffen, einem Deutschnationalen und einem Sozialdemokraten. Als dieses Dreigestirn die Regierung übernahm, hatte für das revolutionäre Proletariat Österreichs die Stunde des Abwehrkampfes geschlagen. Nicht einmal in der Zeit des Stürgkh war die Reaktion gewalttätiger als unter dem Regime der Arbeitervertreter. Reichskanzler wurde Dr. Renner, Staatssekretär des Äußern wurde Dr. Bauer, dieser frühere Radikale, das Heerwesen wurde dem Gen. Deutsch unterstellt, und in allen Ämtern saßen Sozialdemokraten zusammen mit den Bürgerlichen. Im Mai 1918 hatte sich zwischen den Linksradikalen und den verschiedenen oppositionellen Gruppen eine Annäherung vollzogen und eine gemeinsame Plattform wurde gesucht. Zu dieser Zeit entstand der erste Plan, in Österreich eine kommunistische Partei zu gründen. Wir wussten damals nicht, dass die russischen Genossen sich auch einstmals Kommunisten nennen würden, wir wussten nicht, dass unsere Genossen in Deutschland, der Spartakusbund, sich auch Kommunistische Partei nennen würde. Wir haben als kleine Gruppe den Gedanken gefasst, wir wollten den Gedanken zur Tat werden lassen und eine neue Epoche in der revolutionären Arbeiterbewegung Österreichs beginnen.
Es waren nur wenige, die den Kampf begannen. Viele unserer besten Genossen saßen im Kerker, und ein Dutzend Menschen musste alle Kraft für diesen Kampf aufbringen. Damals beschlossen wir eine Zeitung zu gründen unter dem Namen „Weckruf“, Kommunistisches Wochenblatt. Zum erstenmal war der Name „Kommunismus“ auf unsere Fahne geschrieben. Die Zeitung wurde aber von der ersten bis zur letzten Zeile konfisziert. Unsere Absicht, den „Weckruf“ am 1. Mai unter die feiernden Arbeitermassen zu werfen, konnten wir infolge dieser Beschlagnahme nicht verwirklichen. Als aber in Österreich durch den militärischen Zusammenbruch die bürgerliche Freiheit einigermaßen hergestellt war, und als nach neunmonatlicher Haft unsere tapferen Genossen aus dem Kerker entlassen wurden, war eine neue, festere Grundlage geschaffen. Am 3. November 1918 konstituierten wir uns als „Kommunistische Partei Deutsch-Österreichs“. Zentralorgan der Partei wurde „Der Weckruf“.
Am 12. November 1918 sollte öffentlich die Republik proklamiert werden. Wir hatten beschlossen, an diesem Tage im kommunistischen Sinn zu dem österreichischen Proletariat zu sprechen. Wir wussten, dass das Proletariat durchaus revolutionär gestimmt war. Unzählige rote Banner trugen die Inschrift: „Heraus mit der sozialistischen Republik“. Da stiegen einige unserer Genossen auf die Rampe des Parlaments und verkündeten die kommunistischen Grundsätze. Dann wählten wir einige Kommunisten und wollten in das Parlament hineingehen um den Regierungsvertretern zu sagen, dass das Proletariat eine sozialistische Republik und keine bürgerliche verlange. Die Tür wurde uns aber vor der Nase verschlossen. Unsere Genossen von der Roten Garde hieben mit dem Gewehrkolben auf die Tür ein und wollten uns Eingang verschaffen. Nun kam es zu der bekannten Schießerei. Die Rote Garde und die Volkswehr erwiderten die Schüsse, die aus dem Inneren des Parlamentsgebäudes fielen, und der Festtag der bürgerlichen Republik, der so schön arrangiert war, endete mit der zeitweiligen Besetzung des Parlaments durch das Proletariat. Als Repressalie beschlossen die agrarischen Abgeordneten, die Rädelsführer der Kommunisten an die Wand zu stellen; Sie drohten, sonst keine Lebensmittel nach Wien zu liefern. Die Vertreter der Sozialdemokraten jedoch meinten, das gehe zu weit, die Übeltäter müssten aber mit aller Strenge bestraft werden. Es wurden denn auch Genosse Steinhardt (Gruber) und Genossin Friedländer unter der Anklage der öffentlichen Gewalttätigkeit verhaftet, aber nach zwei Wochen wieder in Freiheit gesetzt, hauptsächlich auf Drängen der Räte der Volkswehr. Auch eine Anzahl unserer russischen Freunde wurde in Untersuchung gezogen und ausgewiesen. Die Sozialdemokraten in der Regierung gaben nicht nur ihre Zustimmung dazu, sondern sie waren zum Teil Veranlasser dieser Maßregel.
Die kommunistische Bewegung wurde unter das Schwert gestellt. Die ganze Regierungsmacht wandte sich gegen uns, und mit den Sozialdemokraten in der Regierung hatten wir die härtesten Kämpfe zu bestehen. In Wien war es uns nicht möglich, Versammlungslokale aufzutreiben. In einigen Wiener Bezirken hatten wir versucht, als kommunistische Partei Versammlungen abzuhalten. Man nahm uns die Lokale weg und versuchte uns dadurch lahmzulegen. In der Provinz konnten die Regierungssozialisten ihre Macht noch stärker zeigen. In Graz, dem Zentrum der Steiermärkischen Industrie, waren wir vier Wochen lang außerstande, eine Versammlung abzuhalten. Dort hat der Sozialdemokrat Resel als Landesmilitärbefehlshaber den Terror gegen die Kommunisten organisiert.
Erst nachdem wir auf die Straße gingen und uns auf Plätzen versammelten, können wir heute in jedem Lokal Versammlungen abhalten. In ganz Nordsteiermark gibt es jetzt kommunistische Organisationen, und die Arbeiter kommen zu uns, diskutieren mit uns und stellen sich auf unsere Plattform. Heute wagt es niemand mehr, uns zu hindern, Versammlungen abzuhalten und unsere Organisation auszubauen.
So haben wir uns durchgesetzt. Aber dass die sozialdemokratische Partei versuchte, mit den gewalttätigsten und schäbigsten Mitteln unsere Bewegung unmöglich zu machen, wird ihre ewige historische Schuld sein.
Wir sagten in der Agitation niemals, dass die sozialdemokratischen Arbeiter unsere Feinde seien, sondern sie seien auf falsche Wege geführt. Unsere Tätigkeit geht dahin, die revolutionären Teile der Arbeiterschaft für uns zu gewinnen. Es zeigte sich denn auch, dass an allen Orten die Linksradikalen zu uns stießen.
Am 9. Februar dieses Jahres hatten wir endlich die Möglichkeit, Heerschau über die Bewegung in ganz Deutsch-Österreich zu halten, und während auf der ersten Tagung am 3. November 1918 ein ganz kleines Häuflein von Genossen sich zusammengefunden hatte, war am 9. Februar 1919 ganz Deutsch-Österreich durch Organisationen vertreten. Wir stellten uns auf eine klare, scharf formulierte kommunistische Plattform und erklärten in bezug auf die Nationalversammlung, dass wir mit den Wahlen zur Nationalversammlung nichts zu tun haben wollten, weil diese Institution ein Instrument zur Verfälschung der Revolution sei. Und gerade die Wahlen waren der Gipfelpunkt des politischen Lebens der Sozialdemokratie. Wir stellten dem gegenüber die Idee der Diktatur des Proletariats und forderten die Arbeiter- und Soldatenräte. Das war der Stand der Dinge, als wir Deutsch-Österreich verließen. Wir haben nun eine organisatorische Arbeit von vier Monaten hinter uns. Wir legen nicht viel Wert darauf, dass wir recht viel eingeschriebene Mitglieder haben, sondern wir legen Wert darauf, dass sie den revolutionären Willen zur Tat verkörpern, dass ein revolutionärer Körper, der sich im entscheidenden Moment bewähren wird, vorhanden ist.
So steht nun die Kommunistische Partei in Deutsch-Österreich gefestigt und kampfbereit da, von der Regierung verfolgt, von den Sozialdemokraten gehasst. Leider ist Fritz Adler nicht in unseren Reihen. Als er den Ministerpräsidenten Stürgkh tötete, und als die Arbeiterschaft Österreichs geschlossen und energisch seine Freilassung verlangte, war er für uns ein revolutionäres Symbol. Fritz Adler kam aus dem Gefängnis, und was geschah? Jene, die an ihm hingen, die für ihn alles opfern wollten, waren seine Freunde nicht mehr, sondern er war ihr Gegner geworden. Er stellte sich der sozialdemokratischen Partei zur Verfügung, jener Partei, die ihn gebrandmarkt hatte und ihn ausgeschlossen hätte, wenn er nicht der Sohn des großen Vaters gewesen wäre. Er wurde als Vertreter für die Nationalversammlung aufgestellt, und im Bunde mit den reaktionären Führern der Arbeiterschaft wurde sein Name für viele Arbeiter ein Lockmittel, um für das Parlament zu stimmen.
Er erklärte sich gegen jegliche Spaltungsversuche in der Arbeiterbewegung, insbesondere gegen die Tätigkeit der Kommunistischen Partei.
Unsere Bewegung ist eine Bewegung der Massen. Wir hören es jeden Tag: Ihr Kommunisten habt doch keine hervorragenden Führer. Ja, die russischen Kommunisten, die haben einen Lenin, einen Trotzki, einen Bucharin, die schon solange für die Ideen des Kommunismus, die Diktatur des Proletariats gekämpft haben, aber ihr habt gar keinen weltbekannten hervorragenden Führer. Aber die Arbeiterschaft hat uns dennoch ernst genommen, denn sie hat gesehen, dass es nicht allein der große Name macht.
Man hat uns Arbeitern in Deutsch-Österreich erzählt, in Russland herrsche Zerstörung, Plünderung, Sabotage, und es währe nicht lange, so würde die Herrlichkeit der Bolschewiki in Trümmer liegen. Wir sehen aber, dass diese Herrlichkeit sich befestigt hat, und dass die Kommunistische Partei Russlands heute eine neue Epoche in der Weltgeschichte eingeleitet hat. Während früher Moskau das Zentrum der Reaktion war, ist es heute das Zentrum der kommunistischen Bewegung geworden, und das kann nie zerstört werden. Deswegen hängen die Arbeiter Deutsch-Österreichs heute mit leidenschaftlicher Liebe an der Bewegung der russischen Genossen, denn sie wissen, wenn das Regime der Kommunisten im Osten zertrümmert wird, dann ist im Westen ein Aufbau auf kommunistischer Grundlage für lange unmöglich. Die Konferenz der Zweiten Internationale in Bern ist die Agonie einer absterbenden Epoche, der heutige Kongress ist die erste Tagung des revolutionären Proletariats zur Organisierung der Tat.
Darum begrüßen wir Euch und wünschen, dass diese Tagung eine neue Epoche einweiht. Siebzehn Tage sind wir von Wien nach Moskau unterwegs. Wie Handwerksburschen sind wir die ganze Strecke gereist. Auf Tendern, auf Lokomotiven, auf Puffern, in Viehwagen, zu Fuß durch die Linien der ukrainischen und polnischen Räuberbanden, unter steter Lebensgefahr – immer mit dem sehnsüchtigen Gedanken: nach Moskau wollen wir, nach Moskau müssen wir, und nichts darf uns abhalten, dorthin zu gelangen!
Wir haben unser Ziel erreicht. Wir weilen unter Euch, Genossen! Und unser gemeinsames Ziel, die Föderative Weltrepublik der Kommunisten, müssen und werden wir auch hoffentlich in nicht allzuferner Zukunft erreichen.

Quelle: Der I. Kongreß der Kommunistischen Internationale. Protokoll der Verhandlungen in Moskau vom 2. bis 19. März 1919. Hamburg: Verlag der Kommunistischen Internationale 1921 (Bibliothek der Kommunistischen Internationale, Bd. 7), S. 99–105

 

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