Klahr    Alfred Klahr Gesellschaft

Verein zur Erforschung der Geschichte der Arbeiterbewegung

Drechslergasse 42, A–1140 Wien

Tel.: (+43–1) 982 10 86, E-Mail: klahr.gesellschaft@aon.at


 

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Herbert Steiner

Ich möchte mich vor allem sehr herzlich bei der Alfred Klahr Gesellschaft bedanken für die Einladung und für die Tatsache, daß sie dieses Symposium organisiert hat. Sie werden aus der Presse, dem Radio und anderen Medien sicher wissen, daß es in diesen Tagen ziemlich viele ähnliche Veranstaltungen gibt. Ich glaube, es können gar nicht genug sein, um die Möglichkeit zu geben, hier tatsächlich alles zu erzählen bzw. zu diskutieren, was in dieser Zeit vor sich gegangen ist.
Ich kann Ihnen als Zeitzeuge, der ich sicher auch war, nicht so aufregende und dramatische Dinge wie Genossin Mali Fritz erzählen, aber ich kann Ihnen etwas anderes sagen. Ich halte seit mehreren Jahren Vorlesungen an der Wiener Universität über „Widerstand und Verfolgung“ ab. Es ist durchaus erfreulich, daß diese Vorlesungen sehr gut besucht sind, daß das Interesse groß ist und daß man vor allem bei den schriftlichen Prüfungsarbeiten sieht, wie sehr junge Menschen von dieser Frage betroffen sind und sich bemühen, zu verstehen und Konsequenzen zu ziehen. Zweifellos sind heute die Umstände anders als sie in der schwierigen Zeit des Widerstandes gegen den Nationalsozialismus waren. Wir sollen nicht vergessen, daß wir in einer Demokratie leben. Das heißt, daß wir alle die Verpflichtung haben, ein klein wenig mitzuhelfen gegen diese reaktionären Strömungen, über die Mali Fritz gesprochen hat und die sich heute wieder breit machen und uns alle mit Sorge erfüllen. So sehr wir auf der einen Seite sehen können, daß junge Menschen heute anders handeln und denken als im Jahr 1938, so ist das Recht absolut legitim, auch besorgt zu sein. Wir haben nicht erwartet, daß in unserer Zeit wieder solche Strömungen aufkommen und auf das gesellschaftliche Leben Einfluß zu nehmen versuchen. Wenn wir eine Lehre ziehen wollen aus dieser Zeit, so ist es die, daß wir versuchen sollten, in unserem Freundeskreis, Familienkreis, Bekanntenkreis, offensiv zu wirken und uns den Argumenten, die der Herr Haider immer wieder verbreitet, zu stellen. Es scheint sich heute auch in der Sozialdemokratischen Partei durchgesetzt zu haben, daß man den Herrn Haider härter und schärfer entgegentreten soll. Ich glaube, daß wir diese wichtige und notwendige neue Entwicklung fördern können. Es kommen immer wieder Leute zu mir, die sagen: Was sollen wir tun, was könnten wir tun? Menschen, die verzweifelt und entsetzt sind. Ich glaube daher, jeder Einzelne von uns kann ein kleines bißchen dazu beitragen, daß nie mehr wieder eine Zeit wie 1938-1945 kommt. Das hängt von uns allen ab.
Mit Recht wird immer wieder darauf hingewiesen, daß in den Jahren des autoritären Regimes in Österreich zwischen 1934 und 1938 und des nationalsozialistischen Regimes 1938 bis 1945 von den Kräften, die Widerstand geleistet haben, die Kommunisten die aktivsten gewesen sind. Ich glaube, die traurigen und oft bösen Erfahrungen, die wir in den letzten paar Jahren hatten, haben uns alle recht kritisch gemacht. Wir sollen uns aber nicht davon abbringen lassen, historische Tatsachen immer wieder zu wiederholen. Ich kann sagen, daß an der Universität dafür durchaus Verständnis herrscht. Es ist eine Tatsache, daß in der Zeit des Nationalsozialismus die Kommunisten es waren, die den größten Einsatz leisteten und den stärksten Anteil am Widerstand hatten. Das heißt nicht, daß nicht auch andere da waren. Selbstverständlich gab es die Sozialisten, gab es die Katholiken und andere, die am Widerstand teilgenommen haben. Als politisch organisierte Kraft standen aber die Kommunisten an vorderster Stelle. Die Frage ist jetzt, warum es so war. Dafür gibt es eine Reihe von Begründungen. Zweifellos waren die Kommunisten im Widerstand jene, die von der Notwendigkeit ihrer Tätigkeit absolut überzeugt gewesen sind und damit auch die notwendige Kampfbereitschaft aufbrachten. Sie hatten auch größere organisatorische Erfahrungen. Es ist ja bekannt, daß die Kommunistische Partei als erste politische Partei in Österreich schon im Jahre 1933 verboten wurde und daher zwischen 1933 und 1938 viel Erfahrung sammeln konnte im illegalen Kampf gegen das autoritäre Regime. Sie war die Kraft, die in dieser Zeit nicht versäumt hat, ihre ideologische Haltung durch Schulungen zu festigen. Die Kommunisten waren jene, die 1938 diesen Kampf mit diesen Erfahrungen fortsetzten.
Es gab allerdings auch negative Erscheinungen. So hat man anfangs die Gestapo und die Terrorkraft des Nationalsozialismus teilweise unterschätzt. Man glaubte, daß es so weitergeht wie im autoritären Regime bis 1938.
Eine Frage, die zur Ideologie gehört, war, daß seit dem Jahre 1937, als die Diskussion über die nationale Frage begann, der Großteil, vor allem der aktiven und führenden Kommunisten davon überzeugt war, daß die Österreicher eine eigene Nation sind. Die Kommunisten haben sich wissenschaftlich und politisch damit auseinandergesetzt und darüber diskutiert. Das war einer der entscheidenden Gründe, warum die Kommunisten bereit waren, in diesem großen Ausmaß am Kampf teilzunehmen. Wir können uns stolz dazu bekennen, und ich möchte noch einmal sagen, daß ich an der Universität diese Erfahrung mache. Das Interesse dafür ist sehr groß, auch für die Zeitzeugen, die zum Teil Kommunisten sind, die dort über ihre Erlebnisse und über ihre Tätigkeit sprechen. Eine andere Frage, die immer wieder gestellt wird, ist die, warum die Kommunisten im Widerstand diese breite, intensive und bewußte Tätigkeit ausgefüllt haben und wieso es dann für sie unmittelbar nach Kriegsende bei den ersten Wahlen in Österreich zu der großen Enttäuschung gekommen ist. Ich glaube, daß das etwas ist, das wir gut überlegen und diskutieren sollten. Mir scheint, das hängt vor allem mit der Frage zusammen, daß die Kommunisten im Kampf gegen Faschismus als integrierende Kraft, und zwar als einzig integrierende Kraft, im Widerstand aufgetreten sind. Sie haben versucht, alle zu sammeln, Sozialdemokraten, Katholiken, bürgerliche Menschen, alle, die gegen den Nationalsozialismus und für ein Wiedererstehen Österreichs waren. Das war gar nicht so selbstverständlich. Wenn wir uns die Zielsetzung der Kommunisten ansehen, die nach wie vor darin besteht, die Gesellschaft zu verändern, so wurde diese Frage damals nicht gestellt. Die Kommunisten waren die einzigen, die im Kampf gegen den Nationalsozialismus ihre unmittelbaren eigenen Zielsetzungen zurückgestellt haben, um den Nationalsozialismus zu besiegen. Sie erklärten, über die Frage der Gesellschaftsveränderung könne man später sprechen, aber gegenwärtig besteht die vordringliche Aufgabe darin, den Nationalsozialismus und den Faschismus zu schlagen. Sehen wir uns beispielsweise an, was nach dem Februar 1934 passiert ist. Nach dem Februar 1934 sind in ganz Österreich tausende Gewerkschaftsfunktionäre, Arbeiterfunktionäre verschiedener Organisationen inhaftiert worden. Sie haben ihre Posten verloren, zum Teil sogar ihre Wohnungen. Aber das waren meist nicht die Leute, die 1934 auf den Barrikaden gestanden sind und gegen Dollfuß mit der Waffe gekämpft haben. Vielmehr sie sind eingesperrt worden, weil sie demokratisch gewählte Funktionäre waren. Ich halte es für einen Fehler, wenn man die Periode 1934 bis 1938 vollkommen trennt von der Periode 1938 bis 1945, weil es hier einen engen Zusammenhang gibt. Vor kurzer Zeit hat die Österreichische Volkspartei, die eine der Gründerparteien der Zweiten Republik war, eine Feier gehabt, auf der sie der Gründung gedachte. Aber es war nicht erst im Schottenstift im April 1945, daß diese Idee geboren wurde. Es gab in Wien einen ÖVP-Gemeinderat, der auch der Obmann der Kameradschaft der politisch Verfolgten der ÖVP war, Leinkauf hieß er, der darüber erzählt hat, wie sie, bevor sie noch verhaftet wurden, oft in verschiedenen Gasthäusern zusammengekommen sind und überlegt haben, welche Art von Partei künftig notwendig sein wird. Im wesentlichen haben sie also das alles schon vorher, im Widerstand besprochen.
Die Sozialistische Partei, oder heute heißt sie wieder Sozialdemokratische Partei, verdankt ihr Entstehen der Zusammenführung jener, die bei den Revolutionären Sozialisten tätig waren und jenen Sozialdemokraten, die sich politisch passiv verhielten. Wenn wir über Karl Renner sprechen, wieso er nach seiner Erklärung im März 1938 wieder eine wichtige Funktion ausüben konnte, so dürfen wir nicht vergessen, daß das, was Renner damals sagte, auch einem relativ großen Teil der ehemaligen Sozialdemokraten entsprochen hat. Die als Revolutionäre Sozialisten den Kampf führten, waren nur eine Minderheit. Später, von 1938 bis 1945, sind viele Mitglieder der Revolutionären Sozialisten in Gruppen gemeinsam mit den Kommunisten tätig gewesen.
Es war also so, daß die Kommunisten im Widerstand eine integrierende Kraft darstellten und zwischen Katholiken und Sozialisten ausgeglichen haben, ihnen erklärten, warum es notwendig sei, diesen entschiedenen Kampf bis zum Sieg über den Faschismus gemeinsam zu führen. Wahrscheinlich war die Zeit zu kurz zwischen der Befreiung im April 1945 und den Wahlen im Oktober 1945, um die Umstellung der KPÖ auf eine bürgerlich-demokratische Wahl durchzuführen. Das hatten einige Theoretiker schon längst vorausgesehen. Wenn wir beispielsweise das Buch Otto Bauers „Zwischen zwei Weltkriegen“ anschauen, so hat er dazu ganz deutlich und offen gesagt, daß auf Grund ihrer Erfahrungen und ihrer Einstellung die Kommunisten die stärkste und aktivste Kraft im Widerstand sind und sein werden. Es sei aber auch gar keine Frage, daß, wenn die alten Sozialdemokraten zu einer neuen allgemeinen Wahl im bürgerlichen Österreich antreten werden, dann die Kommunisten wieder eine sehr kleine Gruppe sein werden und die Sozialdemokratie die Mehrheit übernehmen werde. Ich kann dieses Problem hier nur anschneiden; mir scheint es aber, daß dies ein wichtiges Problem ist, das uns helfen könnte, Inaktivität, Passivität und die manchmal nicht sehr klaren Zukunftsperspektiven ein wenig zu ändern, wenn wir diese Probleme stärker diskutieren.

Statement auf dem Symposium der Alfred Klahr Gesellschaft „50 Jahre Zweite Republik“, 8. Mai 1995

 

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